Der Tübinger Theologe Hans Küng legte den Grundstein

25 Jahre Stiftung Weltethos

Seit einem Vierteljahrhundert setzt sich die Stiftung Weltethos für interreligiösen Dialog, Frieden und Wertedebatten ein. Welche Projekte stehen in Zukunft an? Und wie geht man mit aktuellen Herausforderungen wie Corona-Krise und Flüchtlingsintegration um?

Symbolbild Friedenstaube auf einer Tastatur / © Cienpies Design (shutterstock)
Symbolbild Friedenstaube auf einer Tastatur / © Cienpies Design ( shutterstock )

KNA: Herr Schlensog, welche Erwartungen waren vor 25 Jahren mit der Gründung der Stiftung verbunden?

Stephan Schlensog (Generalsekretär der Stiftung Weltethos): Am Anfang hatten wir selbst kaum konkrete Vorstellungen.

Als Hans Küng kurz vor seiner Emeritierung an der Universität Tübingen stand, machte ihm der Unternehmer Karl Konrad Graf von der Groeben das Angebot, die Arbeit an der Idee des Weltethos langfristig zu sichern. Eines seiner zentralen Motive war, junge Menschen zu erreichen und sie für Wertevermittlung zu interessieren.

KNA: Wo steht die Stiftung heute?

Schlensog: Thematisch geht es im Kern um interreligiösen Dialog und Wertebildung. Das von der Stiftung 2012 gegründete Weltethos-Institut an der Uni Tübingen befasst sich mehr mit Wertfragen in der Wirtschaft.

KNA: An welchen konkreten Projekten arbeitet die Stiftung?

Schlensog: Eines sind beispielsweise die Weltethos-Schulen. Bislang haben wir bundesweit 20 mit diesem Titel zertifiziert. Das sind Schulen, bei denen das Thema nicht nur in den Lehrplänen vorkommt, sondern die die Werte auch im Schulalltag verankern wollen. Zum Beispiel durch einen respektvollen Umgang zwischen Eltern, Schülern und Lehrern und durch einen konstruktiven Umgang mit kultureller Vielfalt.

Ein weiteres Beispiel ist das Projekt worldlab, bei dem junge Menschen unterschiedlicher Herkunft ihre gemeinsamen Werte entwickeln und auf dieser Grundlage ein gemeinsames Projekt für ihr Umfeld konzipieren und umsetzen.

KNA: Wie sind die verschiedenen Weltethos-Institutionen aufgestellt?

Schlensog: Das Weltethos-Institut an der Universität hat rund ein Dutzend fest angestellte Mitarbeiter und ist bis 2043 von einer Stiftung komplett finanziert. Im Stiftungsteam arbeiten weitere 13 Personen fest angestellt, davon fünf projektbezogen. In der Öffentlichkeit werden Institut und Stiftung oft miteinander verwechselt - aber inzwischen stört uns das beide nicht mehr.

Vielmehr arbeiten wir derzeit an einer gemeinsamen Dachmarke Weltethos, um damit unser gemeinsames Kernthema noch besser sichtbar zu machen. Schließlich geht es um die Sache. Der Etat der Stiftung liegt bei rund 1,6 Mio. Euro jährlich, wobei rund 80 Prozent Sponsoring und Projektförderungen sind, der Etat des Instituts bei rund einer Million Euro.

KNA: Weltethos-Stiftungen gibt es inzwischen auch in Brasilien, Kolumbien, Mexiko, Österreich der Schweiz und Tschechien.

Schlensog: Das ist ein loses Netzwerk eigenständiger Initiativen. Unser Fokus ist Mitteleuropa, mehr können wir nicht leisten. Sehr nah und sehr eng sind wir mit der Schweizer Stiftung Weltethos verbunden, die unmittelbar nach der Tübinger Stiftung ebenfalls von Hans Küng gegründet wurde. Zudem sind diese Organisationen sehr unterschiedlich ausgerichtet, einige zivilgesellschaftlich, andere mehr akademisch.

Die Stiftung Weltethos versteht sich als operative Stiftung, die ihre eigenen Projekte finanziert und durchführt; in Ausnahmefällen leisten wir bei Projekten Dritter eine Anschubfinanzierung, sofern diese inhaltlich auf unserer Linie liegen.

KNA: Bis 1993 stand mit Hans Küng der Ideengeber selbst an der Spitze der Stiftung. Wie geht es ohne ihn?

Schlensog: Die Frage kommt immer wieder. Es geht sehr gut. Die Stiftung ist ja nicht Küngs Nachlassverwalter: Wir entwickeln die von ihm grundgelegten Ideen weiter, erschließen neue Zielgruppen. Manche junge Mitarbeiterinnen kennen Küng persönlich kaum oder gar nicht, aber alle setzen sich mit ihm in ihrer täglichen Arbeit intellektuell auseinander.

KNA: Hat sich das Frageinteresse nach einem religiösen Grundkonsens nicht in Zeiten überholt, in denen die größere Bedrohung von Despoten und Spaltern wie etwa Trump, Putin, Orban, Lukaschenko, Erdogan, Johnson und Bolsonaro auszugehen scheint?

Schlensog: Je größer die Not, desto größer der Bedarf. In unseren immer komplexer werdenden Gesellschaften brauchen wir mehr denn je gemeinsame Spielregeln, an die sich alle halten. Wie soll sonst ein gelingendes Miteinander in Vielfalt möglich sein? Wir arbeiten ja gerade gegen die Spalter, indem wir Menschen zu befähigen versuchen, gut und verantwortungsvoll miteinander zu leben.

Das ist eine bleibende Aufgabe, für die schon im Kindergarten die Grundlagen gelegt werden müssen. Unsere Themen sind also wichtiger denn je. Die Zeit des Mauerfalls, als Küng 1990 mit viel Hoffnung sein Buch "Projekt Weltethos" geschrieben hat - die gibt es nicht mehr. Trotzdem bleiben die Fragestellungen aktuell, wenn man sie nicht auf interreligiösen Frieden beschränkt. Wir sprechen heute vom Dreiklang Frieden, Dialog, Werte.

KNA: Bisweilen wird der Vorwurf erhoben, die Weltethos-Idee sei eurozentrisch.

Schlensog: Wenn ich mich an 2018 erinnere, als 8.300 Menschen aus allen Ecken der Welt zum Parlament der Weltreligionen nach Toronto gekommen sind, das ganz unter dem Thema Weltethos stand, dann kann ich das nicht teilen. Wir stülpen auch niemandem eine Hermeneutik über. Aber keiner will doch Gewalt erleiden, alle wollen menschlich und gerecht behandelt werden. Innerhalb und außerhalb Europas.

KNA: Kann die Idee eines Weltethos bei der Frage helfen, wie mit der Corona-Pandemie umzugehen ist?

Schlensog: Wir haben keine Rezepte zum Umgang mit der Pandemie, aber Corona wirft die Frage nach einem rücksichtsvollen Umgang und die Frage des Wachstums noch einmal ganz neu auf. Ohne Empathie geht es nicht.

KNA: Wie feiert die Stiftung in diesen Zeiten Jubiläum?

Schlensog: Natürlich auch sehr gebremst. Wir planen eine kleine Festveranstaltung, und aktuell entwickeln wir eine Social-Media-Kampagne. Unsere Botschaft heißt: Leute, es gibt Möglichkeiten, etwas für eine bessere Gesellschaft zu tun! Jeder kann etwas beitragen. Der Wunsch junger Menschen, sich für Wandel zu engagieren, ist sehr groß. Das wollen wir im Jubiläumsjahr unterstützen.

Das Interview führte Michael Jacquemain.


Hans Küng (KNA)
Hans Küng / ( KNA )
Quelle:
KNA
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