Die evangelikale Bewegung hat ihre Wurzeln im Pietismus und Methodismus sowie in der deutschen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts, für die etwa Ludwig Hofacker in Württemberg und Johann Hinrich Wichern in Hamburg stehen. Vorläufer der heutigen Organisationsvielfalt im evangelikalen Bereich sind Bibel- und Missionsgesellschaften, die Christlichen Vereine Junger Männer und Frauen sowie die evangelischen Gemeinschaften, die sich 1888 in Gnadau bei Magdeburg zu einer ersten Pfingstkonferenz versammelten. Einen Schub erlebte die evangelikale Bewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht zuletzt durch Evangelisationen, die etwa der US-amerikanischen Prediger Billy Graham veranstaltete.
Christliche Freikirchen, religiöse Vereine, unabhängige Gemeinden, charismatische Gruppierungen und missionarische Zentren entstanden im Schatten der Volkskirche. Ganz überwiegend sind sie in der Deutschen Evangelischen Allianz vereint, die sich als überkonfessionelles Netzwerk evangelikaler Christen mit einem pietistisch, freikirchlich oder charismatisch geprägten und eher konservativem Glaubensverständnis versteht und nach eigenen Angaben rund 1,3 Millionen Sympathisanten aus evangelischen Landeskirchen und Freikirchen zählt. Daneben ist ein weiterer Hauptakteur im evangelikalen Bereich der Gnadauer Gemeinschaftsverband, der sich als eigenes Werk mit seinen regionalen Verbänden, missionarischen Aktivitäten sowie Haus- und Bibelkreisen eher den Landeskirchen zuordnet.
Kritikpunkte der Evangelikalen waren etwa die kirchliche Einmischung in die Tagespolitik, die Kirchentage und die dort vertretene Theologie sowie die Solidarisierung des Weltkirchenrates mit Befreiungsbewegungen in Afrika und Lateinamerika. Zu einer Annäherung der unterschiedlichen Frömmigkeitsrichtungen in der evangelischen Kirche kam es nach 1990. (epd)
19.01.2021
Immer wieder kam es zuletzt in Gottesdiensten von Freikirchen oder Pfingstgemeinden in Deutschland zu Verstößen gegen Corona-Schutzmaßnahmen. Was verbirgt sich hinter diesen Glaubensgemeinschaften und warum fallen sie nun so auf?
DOMRADIO.DE: Es halten sich nicht alle Glaubensgemeinschaften an die bestehenden Corona-Schutzverordnungen, zum Leidwesen all jener, die verantwortungsvoll Gottesdienst feiern. In den Debatten ist dann auch immer wieder von Freikirchen und Pfingstgemeinden die Rede. Was steckt dahinter?
Jan Hendrik Stens (Theologie-Redaktion): Der Begriff Freikirche ist ursprünglich in Abgrenzung zur Staatskirche entstanden. Eine Freikirche war also eine vom Staat unabhängige Kirche. Durch die zunehmende Trennung von Staat und Kirche hat sich die Definition dieses Begriffs Freikirche aber gewandelt. Die Abgrenzung wird nun zu den Volkskirchen vorgenommen. In Deutschland zum Beispiel gelten trotz schwindender Mitgliederzahlen die Mitgliedskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland, also kurz EKD, und die römisch-katholischen Bistümer als Volkskirchen und werden vom Staat als Körperschaften des öffentlichen Rechts auch mit einigen Privilegien behandelt.
DOMRADIO.DE: Freikirchen sind also nicht Teil der beiden großen Kirchen, wie wir in Deutschland immer sagen. Oftmals handelt es sich um kleine Gemeinschaften, die aber ein sehr intensives Glaubensleben pflegen und bei denen der Gottesdienstbesuch ein fester Bestandteil des Sonntags ist. Die Pfingstbewegung gibt es allerdings nicht nur in den Freikirchen, oder?
Stens: Innerhalb der Freikirchen, aber auch innerhalb der traditionellen Kirchen, hat sich seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts die Pfingstbewegung entwickelt. Für diese konfessionsübergreifende geistige Strömung hat das Wirken des Heiligen Geistes als Lehre und Glaubenspraxis eine zentrale Bedeutung. In Anlehnung an das Pfingstereignis der Jerusalemer Urgemeinde vor bald 2000 Jahren wird in der Pfingstbewegung um ein neues Pfingsten, ein neues Ausgießen des Heiligen Geistes gebetet. Die Bewegung ist daher sehr charismatisch und von einer strengen Ausrichtung auf das Evangelium geprägt.
DOMRADIO.DE: Und bei dieser strengen Ausrichtung auf das Evangelium spricht man dann von evangelikal. Dabei reicht das Spektrum von liberal bis hin zu fundamentalistisch, richtig?
Stens: Ja, weil für viele Freikirchen die radikale Umsetzung des reformatorischen "solus christus", also des "allein Christus" im Zentrum steht, werden Autoritäten außerhalb der Gemeinschaft skeptisch gesehen, in einigen Fällen sogar abgelehnt. Das gilt auch für den Staat, von dem man ja als Freikirche unabhängig sein will. Allein Gott bestimmt also darüber, ob jemand krank wird, sich infiziert oder ob es jemandem gut geht. Daher werden verordnete Schutzmaßnahmen wie zum Beispiel zur Eindämmung eines Virus häufig nicht beachtet.
Und weil der Gesang wie auch der Lobpreis in freikirchlichen Gottesdiensten unverzichtbare Elemente sind, wird es mit der Beachtung der Hygieneschutz-Verordnungen besonders schwierig. Manche Theologen sprechen sich deshalb dafür aus, stetig dafür zu werben, dass auch Anhänger von Freikirchen in dieser Krisenzeit coronakonforme Wege finden, ihren Glauben zu leben.
Das Interview führte Gerald Mayer.
Die evangelikale Bewegung hat ihre Wurzeln im Pietismus und Methodismus sowie in der deutschen Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts, für die etwa Ludwig Hofacker in Württemberg und Johann Hinrich Wichern in Hamburg stehen. Vorläufer der heutigen Organisationsvielfalt im evangelikalen Bereich sind Bibel- und Missionsgesellschaften, die Christlichen Vereine Junger Männer und Frauen sowie die evangelischen Gemeinschaften, die sich 1888 in Gnadau bei Magdeburg zu einer ersten Pfingstkonferenz versammelten. Einen Schub erlebte die evangelikale Bewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht zuletzt durch Evangelisationen, die etwa der US-amerikanischen Prediger Billy Graham veranstaltete.
Christliche Freikirchen, religiöse Vereine, unabhängige Gemeinden, charismatische Gruppierungen und missionarische Zentren entstanden im Schatten der Volkskirche. Ganz überwiegend sind sie in der Deutschen Evangelischen Allianz vereint, die sich als überkonfessionelles Netzwerk evangelikaler Christen mit einem pietistisch, freikirchlich oder charismatisch geprägten und eher konservativem Glaubensverständnis versteht und nach eigenen Angaben rund 1,3 Millionen Sympathisanten aus evangelischen Landeskirchen und Freikirchen zählt. Daneben ist ein weiterer Hauptakteur im evangelikalen Bereich der Gnadauer Gemeinschaftsverband, der sich als eigenes Werk mit seinen regionalen Verbänden, missionarischen Aktivitäten sowie Haus- und Bibelkreisen eher den Landeskirchen zuordnet.
Kritikpunkte der Evangelikalen waren etwa die kirchliche Einmischung in die Tagespolitik, die Kirchentage und die dort vertretene Theologie sowie die Solidarisierung des Weltkirchenrates mit Befreiungsbewegungen in Afrika und Lateinamerika. Zu einer Annäherung der unterschiedlichen Frömmigkeitsrichtungen in der evangelischen Kirche kam es nach 1990. (epd)