Theologin rät zu Vorsicht bei religiösen Vorbildern

Zwischen Inspiration und Gefahr

Egal ob Popstar oder der Religionslehrer: Wenn es um die Studien- oder Berufswahl geht, sind Vorbilder eine wichtige Größe, sagt die Theologin Marion Lammering. Aber unter bestimmten Umständen können sie auch zur Gefahr für junge Menschen werden. 

Studierende an einer Universität / © 4 PM production (shutterstock)
Studierende an einer Universität / © 4 PM production ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Vor kurzem kam das Gerücht auf, der bekannte Popmusiker Justin Bieber studiere Theologie, um Pastor einer evangelikalen Kirche in den USA zu werden. Auch wenn die Gerüchte sich als falsch herausgestellt haben: Ist der Christ Justin Bieber als Vorbild ein Thema bei jungen Menschen?

Marion Lammering (Theologin am Mentorat für Studierende der katholischen Theologie in Bonn): Für die Breite kann ich das gar nicht sagen. Ich weiß allerdings, dass unter meinem Theologiestudierenden eine Studentin ist, die seit vielen Jahren ein ganz großer Justin-Bieber-Fan ist. Nach wie vor schlägt ihr Herz sehr für diesen jungen Mann.

DOMRADIO.DE: Ist da auch die Religiosität ein Thema oder geht es mehr um Musik und Aussehen?

Lammering: Da haben wir ehrlicherweise noch gar nicht so sehr drüber gesprochen. Ich denke, es geht in erster Linie um die Musik und um die Konzertbesuche. Aber ich glaube, es ist immer so: Wenn junge Menschen Idole und Stars haben, denen sie folgen, dann beschäftigen sie sich natürlich nicht nur mit dem, was diese Menschen berühmt gemacht hat, sondern auch insgesamt mit dem Leben dieser Vorbilder, mit ihren Werten und dem, was sie geprägt hat. Daher kann ich mir vorstellen, dass die Religiosität durchaus eine Rolle spielt, gerade für eine Theologiestudentin.

DOMRADIO.DE: Jetzt ist Justin Bieber nur ein mögliches Idol von vielen. Wenn Sie an Ihre Studentinnen und Studenten denken, sind Vorbilder ein Grund dafür, mit einem Theologiestudium anzufangen?

Lammering: Nicht nur für Theologiestudierende, sondern für Menschen in dieser Lebensphase sind Vorbilder generell wichtig. Wenn man jetzt auf die Theologiestudierenden speziell guckt, dann beginnen die meisten mit dem Theologiestudium, weil es irgendjemanden gab, der sie in die Richtung gelenkt hat, geprägt hat und sie irgendwie beeindruckt hat. Sei das in der Gemeinde, in der sie vielleicht selbst als Jugendlicher aktiv waren - eine Pastoral- oder Gemeindereferentin, ein Kaplan. Manchmal ist es auch ein Religionslehrer, der den Unterricht besonders spannend und interessant gestaltet hat oder der über das Lehrersein hinaus ein offenes Ohr für seine Schülerinnen und Schüler hatte.

DOMRADIO.DE: Solche Vorbilder - ob das jetzt Justin Bieber ist oder der Heimatpastor oder eine Ordensfrau - können ziemlich schnell vom Podest stürzen. Nehmen wir als Beispiel den Priester oder die Ordensfrau, die so einen jungen Menschen dazu inspiriert haben, Theologie zu studieren. Am Ende stellt sich raus: Das war vielleicht ein Missbrauchstäter oder eine -täterin. Kann so was dann auch in eine Krise stürzen?

Lammering: Ja, ich denke schon. Das hängt auch immer davon ab, wie stark man sich mit diesem Vorbild identifiziert. Wenn da jemand ist, der eine besondere Rolle für das eigene Leben spielt, einen besonders prägt und auf Abwege gerät, oder man erfährt etwas über diese Person, was schwer zu verstehen ist, dann nagt das immer an einem selbst. Dann ist es vielleicht auch erst mal schwierig, das zu glauben, weil man sich das gar nicht vorstellen kann. Es passt nicht in das Bild oder in die Erfahrung hinein, die ich persönlich mit diesem Menschen gemacht habe. Daher glaube ich schon, dass man sich in einem solchen Fall noch mal anders mit dieser schwierigen und kritischen Thematik, mit der eigenen Identifikation und dem eigenen Verhältnis zu dieser Person auseinandersetzen muss.

DOMRADIO.DE: Ab wann ist denn der Punkt erreicht, an dem ein Vorbild gefährlich werden kann?

Lammering: Gefährlich wird es generell immer dann, wenn man sich zu sehr mit dem Vorbild identifiziert. Wenn man das nicht nur als Vorbild nimmt, an dem man sich ausrichtet und an dem man sich orientiert, sondern wenn man zu sehr versucht, denjenigen nachzuahmen und in dessen Fußstapfen zu treten. Wenn man eine Kopie oder ein Nachfolger des Vorbilds wird. So wichtig, wie Vorbilder sein mögen, ist es auch wichtig, die eigene Person und die eigene Persönlichkeit im Blick zu behalten. Man muss sich in gewisser Weise von dem Vorbild differenzieren, sich unterscheiden und sich klarmachen: Das ist mein Vorbild. Das ist mir Orientierung und Wegweisung. Aber ich bin trotzdem ich. Mein Weg sieht ein bisschen anders aus, muss auch ganz anders verlaufen, weil ich eine andere Person bin und andere Stärken und Schwächen mit einbringe.

DOMRADIO.DE: Gibt es da Mechanismen, mit denen man sich dagegen schützen kann, so ein Vorbild zu Über-Glorifizieren und sich damit zu Über-Identifizieren?

Lammering: Es ist grundsätzlich wichtig, sich selbst immer gut im Blick zu behalten, sich selbst zu reflektieren, an der eigenen Person dranzubleiben und eben nicht blind zu sein. Man darf das Vorbild nicht verherrlichen und auf einen Sockel zu stellen, sondern man muss den Menschen hinter dem Vorbild sehen. Dann ist es klar, dass niemand perfekt ist und jeder Schwächen hat. Wo Licht ist, ist auch Schatten. Wenn man den Blick dafür behält, dass der andere eben auch Mensch ist und auch Schwächen hat, dann sieht man, wie der in seiner Persönlichkeit damit umgeht. Das ist etwas, das viel wichtiger zu lernen ist: Sich nicht nur an Werten und Stärken zu orientieren die man nacheifern will, sondern auch voneinander lernen, wie man mit dem umgehen kann, was vielleicht nicht licht und hell ist, sondern dunkel und schwierig.

Das Gespräch führte Gerald Mayer. 


Marion Lammering (privat)
Marion Lammering / ( privat )
Quelle:
DR
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