Kirchenrechtler zur Aufwertung der Zeugen Jehovas in NRW

"Keine Ambitionen auf Steuererhebungen"

Das Land NRW hat die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt und damit den großen Kirchen gleichgestellt. Der neue Status sei vor allem ein Prestigegewinn, erklärte Kirchenrechtler Stefan Muckel bei domradio.de. 

Auslagevitrine der Zeugen Jehovas / © Christopher Clem Franken (epd)
Auslagevitrine der Zeugen Jehovas / © Christopher Clem Franken ( epd )

domradio.de: In NRW sind die Zeugen Jehovas jetzt gleichgestellt mit den anderen Kirchen. Was heißt das genau und welche Kriterien mussten dafür erfüllt sein?

Prof. Dr. Stefan Muckel (Jurist für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Uni Köln): Das heißt zunächst, dass sie eine öffentlich-rechtliche Organisationsform haben. Im Grunde ist das eine Förderungsmaßnahme für Religionsgemeinschaften, damit sie in den Genuss bestimmter Vorzüge kommen können, wie etwa das Steuererhebungsrecht. Es leuchtet ein, dass nur öffentlich-rechtliche Organisationen Steuern erheben können.

domradio.de: In Berlin und anderen Bundesländern haben die Zeugen Jehovas schon seit langem den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das hat jetzt in NRW etwas länger gedauert - warum das? 

Muckel: Das hängt damit zusammen, dass die Zeugen Jehovas ihren ersten Antrag in den 1990er Jahren in Berlin gestellt haben. Das Verfahren ist zunächst bis zum Bundesverfassungsgericht getrieben worden - mit dem Ausgangspunkt Berlin. Das Bundesverwaltungsgericht hatte den Anspruch der Zeugen Jehovas noch abgelehnt, das Bundesverfassungsgericht hat diese Entscheidung dann aufgehoben. Dann ging die Sache wieder zurück zum Oberverwaltungsgericht Berlin und zog sich hin. Irgendwann entschied der Berliner Senat: Wir erkennen die Zeugen Jehovas an. Die Folge war, dass auf Antrag der Zeugen Jehovas alle anderen Bundesländer auch ein Verfahren durchführen mussten. Und es dauert eben, bis alle Bundesländer damit durch sind.

domradio.de: Kritiker nennen die Zeugen Jehovas eine autoritäre Sekte, die blinden Gehorsam verlange und ihre Mitglieder sozial isoliere. Ist diese Kritik damit vom Tisch?

Muckel: Die Kritik ist während des Verfahrens immer wieder erhoben worden - insbesondere während des engeren Verfahrens in Berlin. Als dieses Verfahren dann zu Ende ging, war die Sache im Grunde juristisch gelaufen. Es gibt durchaus Gutachten, die versucht haben, die Kritik zu belegen. Es gibt aber auch gegenteilige Äußerungen. Tatsache ist: Die Berliner Behörden und die Berliner Gerichte konnten keine Gründe dafür finden, dass die Zeugen Jehovas sich nicht rechtstreu verhalten. Das ist ein wichtiges Kriterium für die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Wie nun das soziale Leben innerhalb der Gemeinschaft abläuft, das ist eine ganz andere Frage.

domradio.de: Mit dem neuen Status können die Zeugen Jehovas jetzt unter ihren Mitgliedern Steuern erheben oder auch Lehrpläne für einen eigenen Religionsunterricht erstellen, wie ein Sprecher der Staatskanzlei erklärte. Ist damit denn wirklich zu rechnen?

Muckel: Tatsächlich haben sie formal rechtlich die Möglichkeit, Steuern zu erheben. Man fragt sich in der Fachliteratur eigentlich schon seit einiger Zeit, warum die Zeugen Jehovas das Verfahren überhaupt durchgeführt haben, denn sie scheinen in dieser Hinsicht keine Ambitionen zu haben. Aber das ist anderen Gemeinschaften durchaus auch zu eigen. Mit dem Körperschaftsstatus sind auch noch viele andere Vorteile verbunden und letztlich ist es natürlich auch ein gewisser Prestigegewinn.

Das andere, das sie ansprechen - die Frage des Religionsunterrichts und der Lehrpläne - hat eigentlich mit dem Körperschaftsstatus nichts zu tun. Dafür müssen sie nur Religionsgemeinschaft sein. Das ist für die Zeugen Jehovas aber ohnehin völlig unstreitig. 

Das Interview führte Tobias Fricke.


Quelle:
DR