Kirchen legen Statistiken über Kirchenaustritte vor

Zahlen bleiben hoch

Die Kirchenaustritte gingen im Vergleich zum Vorjahr zwar zurück, doch bleiben sie auf hohen Niveau. Katholiken und Protestanten haben auch ein demografisches Problem.

Kirchen verlieren Mitglieder / © Arne Dedert (dpa)
Kirchen verlieren Mitglieder / © Arne Dedert ( dpa )

Die aus Sicht der Kirche positive Nachricht: 2015 haben 35.800 Katholiken weniger ein Austrittsformular unterschrieben als 2014. Der bisherige Negativrekord mit 217.716 Austritten im vergangenen Jahr war mit dem Missbrauchsskandal, die Affäre um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst und das Bekanntwerden eines neuen Kirchensteuer-Einzugsverfahrens auf Vermögenserträge begründet worden. Die schlechte Nachricht: 2015 kehrten 181.925 Katholiken ihrer Kirche den Rücken, sogar ein paar mehr als 2010, als der Missbrauchsskandal die Kirche erschütterte. 

Normalisierung auf hohem Niveau. Da - erstmals zeitgleich - am Freitag auch die Protestanten ihre Statistik veröffentlichten, wird deutlich, dass die großen Kirchen trotz unterschiedlicher Problemlagen von ähnlichen Trends betroffen sind: Bei der evangelischen Brüdern und Schwestern liegen die Austrittszahlen 2015 erneut höher als bei den Katholiken. 2015 verließen 210.000 Protestanten die 20 evangelischen Landeskirchen, 60.000 weniger als im Rekordjahr 2014.

"Kirche bleibt wichtige Kraft"

Der Bischofskonferenzvorsitzende, Kardinal Reinhard Marx, und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm betonten, die Kirchen stellten immer noch eine wichtige Kraft in Deutschland dar. Dass mehr als 56 Prozent der Bundesbürger "aus Freiheit" einer Kirche angehörten, sei keinesfalls selbstverständlich, so Bedford-Strohm. Marx zeigte sich zuversichtlich, dass die Kirchen auch heute den unterschiedlichen Lebenswelten der Menschen gerecht werden und den Glauben überzeugend weitergeben könnten.

Die Katholiken bleiben mit 23,76 Millionen Mitgliedern oder 29 Prozent der Bevölkerung die größte Glaubensgemeinschaft in Deutschland. Die Evangelische Kirche umfasst noch 22,27 Millionen Mitglieder oder 27,2 Prozent der Bundesbürger. Deutlich wird, dass die Kirchen auch ein demografisches Problem haben: Bei den Katholiken stehen 167.226 Taufen 254.260 Beerdigungen gegenüber. Bei den Protestanten gab es 175.000 Taufen und rund 350.000 Bestattungen. Die Zuwanderung gleicht allerdings einiges aus.

Deutlich wird, jedenfalls für die katholische Kirche, dass sich die Sympathie für Papst Franziskus nicht in niedrigeren Austrittszahlen niederschlägt. Auch bei den Kircheneintritten gibt es keine großen Bewegungen: Mit 2.685 Eintritten und 6.474 Wiederaufnahmen verzeichneten die 27 katholischen Bistümer im zweiten Jahr in Folge einen Zugang unter der Marke von 10.000 und damit den zweitniedrigsten Wert seit 1950.

Enfremdungsprozesse als mögliche Austrittsgründe

Über die Gründe für die Austrittszahlen lässt sich nur spekulieren. Bislang gibt es keine systematischen Studien. Beobachter wie der Freiburger Religionssoziologe Michael Ebertz sprechen von einer generell stark nachlassenden Kirchenbindung: "Immer weniger Menschen kommen überhaupt noch mit Pfarrern oder anderen Vertretern von Kirche in Kontakt", sagt er. Die Menschen definieren sich nicht mehr über ihre Konfession, der Glaube wird stärker hinterfragt. Meistens geht dem Austritt ein langer Entfremdungsprozess voraus. Dann reicht der Ärger über eine öffentliche Äußerung des Bischofs oder ein Konflikt mit dem Pfarrer vor Ort dafür, um das Fass zum Überlaufen zu bringen.

Hinweise enthält eine Studie des Bistums Münster: Als erste hatte die westfälische Diözese 2015 eine Marketing-Studie durchgeführt. Danach waren rund 30 Prozent der Katholiken mit ihrer Kirche zufrieden  - und ebenso viele unzufrieden. 22 Prozent der Befragten gelten als austrittsgefährdet. Dass vor allem junge Leute mit einem Austritt liebäugeln, legt eine Studie der EKD von 2014 nahe: Demnach erwägen in Westdeutschland rund 40 Prozent der unter 21-Jährigen und 25 Prozent der 21- bis 29-Jährigen einen Austritt.

Vergangene Woche benannte der Münsteraner Bischof Felix Genn seine Konsequenzen aus der Studie: Die Kirche müsse service-orientierter werden, besser auf Menschen zugehen. Die Zeit, in der sie "von oben herab" Vorgaben für ein gelingendes Leben mache, sei vorbei. Teamfähigkeit sei gefragt, so der Bischof. Dazu gehöre dann auch, dass Menschen, die sich engagieren, mitentscheiden wollten.


Quelle:
KNA