Flüchtlingsexperte fordert schnellere Bearbeitung von Asylanträgen

"Gefahr, dass die Stimmung im Land kippt"

Rund 250.000 Menschen warten momentan in Deutschland auf die Bearbeitung ihres Asylantrags. Eine schnellere Bearbeitung und Entlastung der Kommunen fordert Dietrich Eckeberg bei domradio.de, damit die Stimmung nicht kippt.

Asylantragssteller (dpa)
Asylantragssteller / ( dpa )

domradio.de: Ist also das Grundproblem das langwierige Asylverfahren?

Dietrich Eckeberg (Flüchtlingsexperte der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe): Nein, das Grundproblem ist nicht das langwierige Asylverfahren und zugleich gibt es dort doch Probleme. Es gibt einen riesigen Bearbeitungsstau beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Den gibt es schon lange, weil das Bundesamt schon lange unterbesetzt ist. Dafür ist die Regierung verantwortlich. Diese Situation verursacht lange Verfahren. Ein zweiter Punkt besteht darin, dass die nicht registrierten 250.000 Menschen ganz erheblich unter den Folgen der langwierigen Asylverfahren leiden. Wichtig zu wissen ist in dem Zusammenhang, dass diese "Folgeschäden" dann von den Kommunen bezahlt werden. Es gibt schon seit langem Hinweise bei der Bundesregierung auf diese Probleme. Es scheitert aber anscheinend an Zuständigkeiten, Lösungswillen und Geld. Denn es geht darum, ob der Bund oder die Kommune bei der Registrierung zahlt.

domradio.de: International wird Kanzlerin Merkel für ihr moralisches Umgehen mit Flüchtlingen gefeiert. "Angela Merkels menschliche Haltung zum Thema Einwanderung ist eine Lehre für uns alle", schreibt beispielsweise die britische Zeitung "Observer". Im Landtag hat NRW- Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gesagt: "Flüchtlinge von heute seien die Ärzte von morgen; Flüchtlingskinder die zukünftigen Firmengründer". Das klingt gut - kann aber nur klappen, wenn?

Dietrich Eckeberg: Wenn dem auch Taten und vor allem ein Konzept folgen und ein Haltungswandel stattfindet. Ich begrüße ausdrücklich die Haltung von Frau Merkel, ihre Erklärung und ihren Einsatz für die Flüchtlingsrechte vom Grundsatz her. Aber leider gibt es eben auch viel Hilflosigkeit und Konzeptlosigkeit. Der wichtigste Punkt ist: Die Bundesregierung sieht sich überhaupt nicht mitverantwortlich für die Herausforderungen, die jetzt die Länder und Kommunen trifft. Der zweite Punkt: Die Bundesregierung tut nichts Spürbares am Zusammendenken von Flüchtlingsschutz und Integration. Die Arbeitgeberverbände drücken, die Sozialverbände sagen, "lasst Menschen doch früh die Sprache lernen und in den Arbeitsmarkt kommen." Doch diese Rufe verhallen. Es gibt keine Konzepte und ein Querdenken. Es fehlt eine Willkommensstruktur und eine Verantwortungsübernahme von Bund und Land gemeinsam.

domradio.de: Wenn das Asylverfahren beschleunigt werden könnte, wäre das dann hilfreich?

Dietrich Eckeberg: Es wäre auch jeden Fall hilfreich, denn zu allererst würde ja den Menschen geholfen werden. Sie könnten nämlich arbeiten. Dann wiederum würde in der Bevölkerung wahrgenommen, dass die Menschen etwas für sich selber tun. Es wäre hilfreich für unsere Gesellschaft, denn die Arbeitgeber sagen im Augenblick, sie brauchen diese Menschen und wollen etwas tun. Aber man muss eben auch anfangen und feststellen, was die Menschen gelernt haben, die Potentiale analysieren und die Verbindung zum Arbeitsmarkt herstellen. Das unterbleibt in meiner Beobachtung weitgehend.

domradio.de: Was kann man - außer auf Gesetzesebene - und bei Bund und Land dagegen konkret vor Ort tun?

Dietrich Eckeberg: Vor Ort ist es fantastisch, wie viele Menschen sich einsetzen und bereit sind, mit Kraft, Geld und Zeit zu helfen. Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man dieses in zweierlei Hinsicht stabilisiert. Das bedeutet zum einen, dass man Menschen koordinierende Hilfe an die Seite gibt - was auch schon in manchen Kommunen geschieht. Und zum anderen, was vielleicht noch wichtiger ist, dass die Menschen unser kompliziertes Asyl- und Aufenthaltsrecht verstehen. Sie brauchen Grundwissen, das durch Hauptamtliche vermittelt werden müsste. Schließlich möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass in NRW Zweidrittel der Kommunen vor der Haushaltssicherung stehen. Wenn nicht bald durch das System mehr Geld in die Kassen der Kommunen kommt, dann werden wir vor einer ganz schwierigen Situation in NRW stehen. Denn es stellt sich unter Umständen die Frage, ob die wenigen freien Gelder noch für Hallenbäder, Schulen oder Turnhallen ausgegeben werden können oder ob sie für die Flüchtlingsaufnahme eingesetzt werden müssen. Dann, befürchte ich, wird die Stimmung kippen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt


Quelle:
DR