Ernährung zwischen alter Tradition und neuen Trends

"Auf unseren Körper hören wir am wenigsten"

Heilfasten und Paleo-Diät, der Aufdruck "vegan und glutenfrei" allenthalben, Fitness-App und Gesundheits-Armband: Viele Menschen beschäftigen sich immer mehr mit Ernährung. Das kann ungesund werden.

Autor/in:
Paula Konersmann
Wasser, Brot und Rosenkranz / ©  Corinne Simon (KNA)
Wasser, Brot und Rosenkranz / © Corinne Simon ( KNA )

In der Fastenzeit wollen viele Menschen mal wieder mehr auf die Ernährung achten. Wer im Internet oder Ratgebern nach Tipps sucht, wird schier erschlagen von der Fülle an Informationen. Nicht nur sinnvolle Hinweise kursieren, und manch vermeintlicher Experte stellt die eigenen Regeln über alles. Von "Foodamentalismus" sprechen Psychosomatiker in solchen Fällen.

Daniela Liebscher ist Ärztin am Berliner Immanuel Krankenhaus. Die Naturheilkundlerin begleitet fastende Menschen. Sie trifft also auf viele, die ihre Ernährung umstellen - aus den verschiedensten Gründen. "Es gibt nicht die eine gesunde Ernährung", erklärt sie.

Was tut dem eigenen Körper gut?

Einige Dinge könne allerdings jeder beachten: nicht zu viel und nicht zu wenig essen, möglichst frische, saisonale und regionale Produkte, die möglichst wenig verarbeitet sind. "Außerdem ist es wichtig, das Wie nicht zu unterschätzen", sagt Liebscher. "Wenn wir nebenbei und unter Stress essen, nimmt der Körper die Mahlzeit weniger gut auf, als wenn sie mit Sorgfalt zubereitet ist und entspannt eingenommen wird."

Ernährungstrends könnten ein Anreiz sein auszuprobieren, was dem eigenen Körper gut tut, so Liebscher. Aber es störe sie, dass manche Ernährungsformen angepriesen würden wie ein Heilsversprechen. Das beobachtet auch der Sozialethiker Kurt Remele. "Es gibt zu viele falsche und reißerische Informationen rund um das Thema Ernährung." Wer kritiklos die rasch wechselnden Vorschriften medial angepriesener Ernährungsmoden übernehme, werde nicht zufriedener.

Sehnsucht nach ursprünglich religiösen Tugenden

Liebscher warnt ebenfalls davor, eine Diät zu dogmatisch anzugehen. "Das kann den Blick darauf verstellen, was wir wirklich brauchen. Unser Körper weiß das am besten - aber auf den hören wir am wenigsten." Sie beobachtet eine Sehnsucht nach ursprünglich religiösen Tugenden, die sich im modernen Ernährungsverhalten widerspiegeln.

"Mäßigung, Zurückhaltung und Selbstregulierung sind in den großen Religionen wichtig. Heute wollen sich viele Menschen das Bedürfnis danach in der Ernährung erfüllen, vielleicht weil die Religion für sie weggefallen ist."

Fleischkonsum ist ebenfalls ein Thema

Ein Ersatz für Religion könne Ernährung allerdings nicht sein, meint Remele - sie sei "mehr als eine Anzahl diätologischer Regeln". Im Christentum seien die Speisevorschriften "relativ begrenzt". An manchen Punkten träfen sich jedoch alte Tradition und neue Trends, etwa beim Bemühen um fleischfreie Tage.

In diesem Bereich sieht er Nachholbedarf: "In manchen Milieus, auch im katholischen, ist noch einiges an Arbeit zu leisten, was die Wahrnehmung des Leids von Tieren angeht." Die Tatsache, dass andere Lebewesen durch Intensivtierhaltung, Tiertransporte und Schlachthöfe massiv litten, werde ebenso verdrängt wie ökologische Folgen von hohem Fleischkonsum.

Sich selbst als ganzen Menschen wahrnehmen

Umgekehrt gebe es Menschen, die sich ständig Gedanken über ihre Ernährung machten. Orthorexie, die zwanghafte Fixierung auf gesundes Essen, gilt für manche inzwischen als Krankheitsbild. "Wir sollten die Frage der Ernährung ernst nehmen. Aber es gibt Menschen, die wollen alles hundertprozentig richtig machen, dabei machen wir Menschen nun einmal Fehler und sind nicht perfekt", sagt Remele.

Wo Trends sind, lässt meist auch der Gegentrend nicht lange auf sich warten. Manche Menschen pfeifen auf gute Ratschläge und essen einfach das, worauf sie Lust haben. "Das hat sicher seine Berechtigung", sagt Liebscher. "Allerdings nur dann, wenn man sich selbst als ganzen Menschen wahrnimmt - woher kommt die Lust, was verrät sie über mich?"

Lust auf Eis - oder auf Gemeinschaft mit anderen?

Sinnvoll sei, sich bisweilen zu fragen, warum man etwa einen Eisbecher esse: "Tut er mir gut, bin ich dabei glücklich? Manches, das wir aus Lust zu genießen glauben, ist kein längerfristiger Genuss. Wir fühlen uns danach müde, haben Verdauungsprobleme oder ein schlechtes Gewissen." Gerade Süßigkeiten seien für manche ein Trost bei Stress oder Kummer.

"Das mag gelegentlich in Ordnung sein, doch wir sollten uns fragen, was unser Körper und unsere Seele eigentlich wollen", rät die Medizinerin. Das könne zum Beispiel die Gemeinschaft mit anderen sein, so Remele: "Essen als Gemeinschaftserlebnis - das gibt es heutzutage wahrscheinlich viel zu selten."


Quelle:
KNA