Medizinethiker Maio: Politik muss Medikamentenpreise deckeln

"Der angemessene Rahmen fehlt"

Der Novartis-Konzern verlost 100 Spritzen des Mittels Zolgensma gegen eine tödliche Muskelkrankheit – auch in Deutschland. Für viele ist das ethisch fragwürdig. Der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio sieht die Politik in der Verantwortung.

Ein Beatmungsgerät steht hinter einem Kind, das an spinaler Muskelatrophie (SMA) leidet / © Sebastian Gollnow (dpa)
Ein Beatmungsgerät steht hinter einem Kind, das an spinaler Muskelatrophie (SMA) leidet / © Sebastian Gollnow ( dpa )

In der Diskussion um das 1,9 Millionen Euro teure Muskeldystrophie-Medikament Zolgensma sieht der Freiburger Medizinethiker Giovanni Maio die Politik am Zug. Es gelte, neue rechtliche Rahmenbedingung für die Berechnung von Medikamentenpreisen und die Finanzierung durch das Gesundheitssystem zu schaffen, sagte Maio am Donnerstag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Freiburg.

"Wir stehen am Beginn einer völlig neuen Ära von Behandlungen, etwa in der Gentherapie. Zolgensma ist hier nur ein Beispiel für die neuen Möglichkeiten, die für die nahe Zukunft zu erwarten sind. Die Politik hat es aber bislang versäumt, einen angemessenen Rahmen für die Entwicklung und Finanzierung dieser neuen Therapien zu schaffen."

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) versuche, sich mit zahlreichen Gesetzen als tatkräftig zu inszenieren. "Wo gesetzgeberisches Handeln aber wirklich dringend nötig wäre, tut sich nichts", sagte Maio. Der Leiter des Freiburger Instituts für Ethik der Medizin sprach sich für eine Deckelung von Medikamentenpreisen aus. Die Preisgestaltung dürfe nicht allein dem Prinzip von Markt und Nachfrage überlassen werden. "Dann entstehen völlig überhöhte Preise wie bei Zolgensma oder vielen anderen Medikamenten, etwa in der Krebsbehandlung. Das ist ethisch nicht zu rechtfertigen."

Maio gegen einseitige Schuldzuweisungen

Maio wandte sich zugleich gegen einseitige Schuldzuweisungen an die Pharmaindustrie. "Wir sollten der Industrie dankbar sein, dass sie ins Risiko geht und neuartige Therapien und Medikamente entwickelt. Und natürlich müssen sich die Investitionen der Pharmaindustrie auch lohnen dürfen." Dies behindern zu wollen, sei höchst unvernünftig.

Insofern müssten Gesetzgeber, Krankenkassen und Industrie dringend "vernünftige Preiskorridore" vereinbaren, die einerseits überteuerte und damit ungerechte Preise verhinderten, andererseits aber nicht dazu führten, die Industrie von Forschung und Investitionen abzuschrecken. "Ich erlebe die deutschen Debatten häufig zu einseitig gegen die Pharmahersteller gerichtet", so Maio. Im aktuellen Fall sei es beispielsweise auch bedenklich, dass sich die Krankenkassen einseitig aus der Verantwortung einer Übernahme der Behandlungskosten stehlen wollten, sagte Maio.

Das europäische Zulassungsverfahren läuft

Das vom Schweizer Hersteller Novartis vertriebene Zolgensma verfolgt einen neuen gentherapeutischen Ansatz. Es verspricht durch einmalige Gabe des Mittels eine Heilung, weil im Körper der erkrankten Kinder ein Gendefekt repariert werden könne. Damit würden Kinder von ihrer ererbten Muskeldystrophie geheilt - einer Muskeldegeneration, die unbehandelt häufig in wenigen Jahren zum Tod führt. Das Medikament ist bislang nur in den USA zugelassen. Das europäische Zulassungsverfahren läuft.

Novartis hat angekündigt, in diesem Jahr weltweit 100 an Muskeldystrophie erkrankte Kinder per Losverfahren auszuwählen, die das Medikament kostenlos erhalten sollen. Den hohen regulären Preis begründet Novartis mit den Kosten bei der Entwicklung und der versprochenen Heilung durch einmalige Gabe. Das Medikament wurde von dem Unternehmen Avexis entwickelt, das Novartis 2018 für umgerechnet rund acht Milliarden Euro gekauft hat.

Maio betonte, das Zolgensma-Losverfahren sei ethisch bedenklich, da nicht garantiert sei, dass alle an der Auswahl teilnehmenden Kinder gleich bedürftig sind. "Hinzu kommt, dass es bereits zugelassene, alternative Medikamente zur Behandlung gibt." Der Ethiker sagte, die bewährten Zulassungsverfahren für Medikamente dürften nicht ausgehöhlt werden. "Bevor wir Patienten behandeln, müssen Wirksamkeit und vor allem auch die Unbedenklichkeit der Therapie nachgewiesen sein."


Quelle:
KNA