Urteil gegen Mladic: Für die Angehörigen eine Genugtuung

"Mehr als verdient"

Ratko Mladic ist in Europa für die schlimmsten Kriegsverbrechen nach 1945 verantwortlich. Der zu lebenslanger Haft verurteilte Ex-Militärchef der bosnischen Serben zeigt sich weiter uneinsichtig. Für die Angehörigen ist das Urteil eine Genugtuung.

Völkermord-Prozess gegen Ratko Mladic in Den Haag  / © Phil Nijhuis (dpa)
Völkermord-Prozess gegen Ratko Mladic in Den Haag / © Phil Nijhuis ( dpa )

Mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina,1992-1995, ist Ratko Mladic als damaliger Militärchef der Serben wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Das UN-Tribunal in Den Haag sprach den 75-Jährigen am Mittwoch schuldig, Völkermord und zahlreiche weitere Morde ebenso befehligt zu haben wie den jahrelangen Beschuss der Hauptstadt Sarajevo, die gewaltsame Vertreibung Hunderttausender, die Geiselnahme von UN-Soldaten und die massenhaften Vergewaltigungen muslimischer Frauen und Mädchen. Dabei waren mehr als 100 000 Menschen getötet und mehr als zwei Millionen vertrieben worden.

Nach fünfjährigem Prozess zeigte sich der im dunklen Anzug und roter Krawatte erschienene Mladic weiter uneinsichtig. "Ich schlafe ruhig, ich bin unschuldig", sagte er der Belgrader Boulevardzeitung "Kurir" unmittelbar vor der Urteilsverkündung. Beim Eintreffen im Gerichtssaal bekreuzigte er sich und reckte den Daumen in die Höhe. Während der Vorsitzende Richter Alphons Orie die oft unfassbaren Verbrechen des Angeklagten auflistete, lächelte Mladic immer wieder oder schüttelte den Kopf.

"Lüge! Reine Lüge! Alles Lüge!"

Als der gestikulierende Ex-General "Lüge! Reine Lüge! Alles Lüge!" schrie und nicht mehr auf der Anklageseite Platz nehmen wollte, ließ Orie ihn aus dem Gerichtssaal werfen. Er habe die Verhandlung in einem Nebenraum auf einer Couch verfolgen können, sagte der Richter weiter. Die Mladic-Anwälte hatten den Abbruch der Urteilsverlesung verlangt, weil ihr Mandant durch extrem hohen Blutdruck gefährdet sei. Das Gericht folgte dieser Sicht nicht und verwies auf die gute medizinische Betreuung des Angeklagten.

Ziel aller Kriegsverbrechen von Mladic und seinen Offizieren war nach Überzeugung des Gerichts, Muslime und Kroaten aus den von Serben in Bosnien beanspruchten Gebieten zu vertreiben. Dazu sei ihnen jedes Verbrechen recht gewesen. Die nichtserbische Bevölkerung sei "systematisch terrorisiert" worden, um dieses Ziel zu erreichen. Damit hätten die von Mladic befehligte Armee der bosnischen Serben sowie zahlreiche Freischärlerverbände zuhauf "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" begangen.

Späte Genugtuung für die Angehörigen

Zu den elf Anklagepunkten gegen Mladić zählte auch das Massaker von Srebrenica, das als Völkermord eingestuft wurde. Auch dafür machten die Richter Mladić verantwortlich. Serbische Einheiten hatten 1995 die damalige UN-Schutzzone Srebrenica überrannt und rund 8.000 muslimische Männer und Jungen ermordet.

Besonders emotional war der Prozess für die "Mütter von Srebrenica". Die Organisation, in der sich die Angehörigen des Massakers zusammengetan hatten, reichte 2007 Klage gegen die Niederlande ein. Sie warfen den Vereinten Nationen vor keine ausreichenden Maßnahmen zum Schutz der Menschen vor Ort getroffen zu haben. Sie sollten eigentlich von niederländischen Luftlandetruppen geschützt werden. Die Klage wurde aus formalen Gründen dann aber abgelehnt. Es gab später  einige Urteile, die dem niederländischen Staat zumindest eine zivilrechtliche Mitverantwortung zusprachen.

"Erleichterung, dass nun endlich ein Urteil gesprochen wurde."

Prof. Dr. Axel Hagedorn vertritt die Opfervereinigung vor Gericht. Die Angehörigen befinden sich im Rechtsstreit mit den Niederlanden, denen eine Mitschuld am Massaker vorgeworfen wird, da die Männer trotz UN-Aufsicht aus Srebrenica abgeführt wurden. Für die Angehörigen ist die Verurteilung Mladics zumindest eine Genugtuung. Hagedorn: "Für die Mütter von Srebrenica ist das eine Erleichterung, dass nun endlich ein Urteil gesprochen wurde. Über lange Zeit mussten sie immer wieder zum Prozess anreisen. Es wurde Zeit, dass dieses Kapitel abgeschlossen wird. Es ist 22 Jahre nach dem Völkermord, das ist eigentlich viel zu lange. Nun kann man das abhaken. Die Familienmitglieder wird es aber trotzdem nicht zurück bringen."

Viele würden auch heute noch unter psychischen und physischen Spätfolgen leiden. Das sei auch nicht verwunderlich, erklärt der Balkan-Experte Rudi Löffelsend, der direkt nach dem Massaker in Srebrenica war und auch heute noch Kontakt mit den Überlebenden hat: "Das bleibt bis heute sitzen, wenn man mit den Leuten spricht. Das ist unfassbar, was man zu hören bekommt. Deshalb ist das Urteil mehr als verdient."

Forderung für finazielle Unterstützung für die Hinterbliebenen

Auch wenn Mladic nun verurteilt ist, ist das emotionale Martyrium für die Angehörigen noch nicht ausgestanden. Obwohl den Niederlanden im Prozess der "Mütter von Srebrenica" eine Teilschuld zugesprochen wird, wird das Verfahren auf nächster Instanz fortgesetzt. Eine weitere Belastung auch für die nächsten Jahre, so Anwalt Hagedorn, deshalb fordert er auch finanzielle Unterstützung für die Hinterbliebenen: "Sie haben alle ihre Männer verloren, die damals auch für den Unterhalt gesorgt haben. Die Frauen leben alle von Sozialhilfe. Das kann‘s nicht sein. Da gibt es noch immer eine große Frustration."


Ratko Mladic / © Martin Meissner Pool (dpa)
Ratko Mladic / © Martin Meissner Pool ( dpa )
Quelle:
dpa , DR
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