Gewalt gegen Homosexuelle ist laut Weißem Ring ein Tabu-Thema

Angriffe, über die kaum einer redet

Christian Siever wird wegen seiner Homosexualität angegriffen. Zum Tag der Kriminalitätsopfer redet er öffentlich über seinen Fall. Viele Homosexuelle trauen sich aber nicht, über Gewalt zu reden. Der Weiße Ring reagiert.

Autor/in:
Michael Althaus
In den USA herrscht Streit über den Umgang mit Homosexualität im geistlichen Amt / © Manuel Lopez (dpa)
In den USA herrscht Streit über den Umgang mit Homosexualität im geistlichen Amt / © Manuel Lopez ( dpa )

Christian Siever freut sich auf einen schönen Nachmittag mit einem Freund. Die beiden wollen die Kirmes in seiner Heimatstadt Hattingen im südlichen Ruhrgebiet besuchen. Als Siever aus dem Bus aussteigt, erlebt er jedoch eine böse Überraschung: Drei Jungs, die er vom Sehen her kennt, zeigen ihm den Mittelfinger und beschimpfen ihn - wegen seiner Homosexualität.

Es fallen Worte, die Siever lieber nicht wiederholen möchte. "Ich habe das ignoriert", sagt er. Doch die Pöbler folgen ihm. Bis zum Haus seiner Eltern, das auf dem Weg liegt. Einer kneift Siever so heftig in die Brustwarze, das er bis heute Verletzungen am Gewebe davonträgt. Erst als sein Vater und seine Schwester zu Hilfe kommen, suchen die Täter das Weite.

Übergriffe an der Tagesordnung

"Solche Übergriffe auf Homosexuelle sind leider in Deutschland an der Tagesordnung", sagt die stellvertretende Landesvorsitzende der Opferschutzorganisation Weißer Ring in Hamburg, Kristina Erichsen-Kruse. Konkrete Fallzahlen hat sie nicht. "Aber wir wissen, dass es eine sehr hohe Dunkelziffer gibt." Viele Homosexuelle würden sich nicht trauen, nach solchen Vorfällen Hilfe zu suchen oder gar an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Hemmschwelle sei zu hoch.

Nicht so bei Christian Siever: Der heute 19-jährige Biologie-Student erstattete Anzeige gegen seine Peiniger und suchte Beratung beim Weißen Ring. "Die Gespräche mit dem Polizeibeamten und der Frau vom 'Weissen Ring' waren eine große Hilfe für mich", sagt er im Rückblick.

Siever ging sogar noch weiter: Er machte seine Geschichte öffentlich. Die Lokalzeitung und ein Internetportal für schwule und bisexuelle Jugendliche berichteten. Am Mittwoch spricht Siever über seine Geschichte bei einem Gedenkgottesdienst zum Tag der Kriminalitätsopfer in der Hamburger Hauptkirche Sankt Jacobi. Der vom Weißen Ring ins Leben gerufene Tag wird jedes Jahr am 22. März begangen.

Positive Reaktionen auf so viel Mut

"Öffentlich über den Angriff zu sprechen, hilft mir, damit umzugehen", sagt Siever. Die ersten Wochen nach der Tat habe er schlecht geschlafen und Angst gehabt. Inzwischen sei er darüber hinweg und traue sich wieder auf die Straße. Für seinen Mut, über den Vorfall zu sprechen, habe er viele positive Rückmeldungen bekommen.

"Das war hundertprozentig der richtige Schritt." Nur so könne sich in der Gesellschaft etwas ändern. "Das Statement von Herrn Siever kann andere Opfer motivieren, Beratung zu suchen", so Erichsen-Kruse. Der Weiße Ring in Hamburg habe die Situation Homosexueller, die Opfer von Gewalttaten werden, inzwischen als ernsthaftes Problem erkannt. Daher habe der Landesverband ein neues Projekt ins Leben gerufen, bei dem die Mitarbeiter verstärkt auf Menschen in der Homosexuellen- und Trangender-Szene zugehen wollen. "Wir möchten den Opfern von Gewalt und Beleidigungen Mut machen, sich bei uns zu melden."

Aktuell werden mehrere Berater der Organisation für den Umgang mit gleichgeschlechtlich orientierten Menschen geschult. "Sie denken häufig anders und bewegen sich anders als Heterosexuelle. Weil sie vielen Vorurteilen begegnen, sind sie häufig sehr viel empfindsamer", erläutert Erichsen-Kruse. Darauf müsse man in der Beratung eingestellt sein.

Zwei der drei Täter verurteilt

Christian Siever würde sich jederzeit wieder Hilfe holen. Er ist froh, dass er das Gespräch gesucht und auch Anzeige erstattet hat. Gegen seine Peiniger wurde zunächst ein Näherungsverbot verhängt. "Daran halten sie sich aber nicht", berichtet Sievers. Immer wieder komme es zu Beleidigungen.

Inzwischen sind zwei der drei Täter verurteilt. Weil sie nach dem Jugendstrafrecht behandelt wurden, liefen die Prozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Das Verfahren gegen den dritten Jugendlichen dauert noch an. Hat Siever Angst vor einem erneuten Übergriff? "Nein, aber ich bin vorsichtiger geworden."


Quelle:
KNA