Charlotte Knobloch zum Holocaust-Gedenktag

Gegen die "braune Renaissance"

Alljährlich gedenkt der Bundestag am 27. Januar der Opfer des Holocaust. In diesem Jahr bekommt der Gedenktag angesichts wachsenden Rechtspopulismus besondere Bedeutung, sagt die ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden.

Fotos an der Bahntrasse zum ehemaligen KZ Auschwitz / © Grzegorz Momot (dpa)
Fotos an der Bahntrasse zum ehemaligen KZ Auschwitz / © Grzegorz Momot ( dpa )

domradio.de: Man kann durchaus davon sprechen, dass die gesellschaftliche Stimmung zu Beginn des Jahres 2017 angespannt ist. Wir sprechen über Rechtspopulismus, die AfD oder Trump. Steht denn so ein Holocaust-Gedenktag im Jahr 2017 unter einem anderen Vorzeichen als sonst?

Charlotte Knobloch (Ehemalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland und  Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern): Ja. Ich bin in den letzten Jahrzehnten jedes Jahr in Berlin gewesen und habe am Gedenktag im Bundestag teilgenommen. Ich muss sagen, dass ich nie mit solchen Zweifeln nach Berlin gefahren bin, wie in diesem Jahr. Von der Gerichtsentscheidung des Verfassungsgerichts, bei dem die NPD nicht verboten wurde, über die Aussagen des AfD-Politikers Höcke bis zu den aktuellen Entwicklungen bei den sogenannten Reichsbürgern hat sich in den letzten Tagen so viel ereignet, dass man sich schon Gedanken machen muss, wie es eigentlich weitergeht.

domradio.de: Ist es für Sie wichtig, da auch ein politisches Zeichen gegenzusetzen?

Knobloch: Ja. Ich sehe eine Leichtfertigkeit mit dem Umgang unserer demokratischen Grundsätze. Hier wurde ganz klar gesagt, dass eine Partei mit dem Nationalsozialismus wesensverwandt ist. Dann weiß ich nicht, was außer der Verfassungsfeindlichkeit, dem Rassismus und Antisemitismus noch dazu kommen muss, um einen Strich zu ziehen. Zudem habe ich meine Probleme, wenn ich mir vorstelle, dass unsere Parteien nicht parteiübergreifend diese Themen heranziehen und mehr oder weniger klarstellen, wer in unserem Land heutzutage das Sagen hat. Die AfD redet leider Gottes mit. Das hat sich auch kurz nach der Höcke-Rede gezeigt, in der er die erinnerungspolitische 180-Grad-Wende weg von der Erinnerungskultur forderte. Weitere Anträge, wie Zuschüsse für Fördergelder zu der Gedenkstätte Gurs sollen gestrichen werden, weil es sich um keine bedeutsame Stätte der deutschen Geschichte handelt. Die meisten französischen Juden sind über Gurs nach Auschwitz deportiert worden. Außerdem soll es nach der Vorstellung der AfD für Schüler keine Fahrten zu Gedenkstätten geben, sondern nur noch Exkursionen zu bedeutsamen Stätten der deutschen Geschichte. Da muss ich mich schon fragen, wie unsere Parteien auf diese regelrechte braune Renaissance reagieren.

domradio.de: Das Ende des Zweiten Weltkriegs ist jetzt gut 70 Jahre her. Was sagt es über unsere Gesellschaft aus, dass wir jetzt an so einem Punkt angekommen sind?

Knobloch: Diese Frage stelle ich mir auch sehr oft. Ich bin schon etwas irritiert, dass sich die Gesellschaft zu diesen Themen eigentlich gar nicht äußert. Da geht es um unser Land, da geht es um unsere Heimat und da geht es um unser schwer erkämpftes und erreichtes Ansehen in der Welt. Unser Land hat einen hervorragenden Stand. Aber wenn solche Themen die Oberhand gewinnen, wie es momentan der Fall ist, ohne dass sich die Gesellschaft dagegen wendet, dann muss man sich schon fragen, was die politischen Parteien zu diesem Themen zu tun gedenken.

domradio.de: Das ist also ein Thema, das nicht nur die Juden im Land interessiert?

Knobloch: Es sollte nicht nur die Juden interessieren, denn das ist auch unsere Zukunft. Die Geschichte darf sich nicht wiederholen, obwohl man bereits sagt, dass sie sich wiederholt. Die 1920er Jahre haben einiges gezeigt. Hitler ist nicht vom Himmel gefallen, er wurde gewählt.

domradio.de: Was denken Sie, wie wird es bei uns in den kommenden Jahren weitergehen?

Knobloch: Ich hoffe, dass wir diese wehrhafte Demokratie, die bei uns vorhanden ist, behalten. Ich hoffe auch, dass die politischen Parteien gemeinsam mit der Gesellschaft eine klare Linie vorzeigen und auch durchziehen.

domradio.de: Da ist auch ein Holocaust-Gedenktag in diesem Zusammenhang wichtig, oder?

Knobloch: Besonders, weil ich über einige Themen gesprochen habe, die mich in den vergangenen Tagen besonders belastet haben - und nicht nur mich, sondern die gesamte jüdische Bevölkerung in unserem Land. Ich glaube, da geht es auch nicht nur um uns Juden, sondern da geht es um alle Minderheiten, die wir in unserem Land haben und wo wir alle die Pflicht haben, diese zu beschützen und denen eine Zukunft zu geben.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Charlotte Knobloch / © Peter Kneffel (dpa)
Charlotte Knobloch / © Peter Kneffel ( dpa )
Quelle:
DR