Experte für den christlich-islamischen Dialog zur Pilgerfahrt nach Mekka

Glück und Gelassenheit

Hitze, Menschenmassen, Stau: Mit rund drei Millionen Muslimen ist die alljährliche Pilgerfahrt ins saudi-arabische Mekka das weltgrößte Tourismus-Event. Thomas Lemmen, Experte für den christlich-islamischen Dialog im Erzbistum Köln, zieht den Vergleich zum christlichen Ritus.

Autor/in:
Judith Kubitschek
Pilger in Mekka (KNA)
Pilger in Mekka / ( KNA )

Auch wenn es für Katholiken keine Pflicht sei nach Rom oder Jerusalem zu pilgern, sei das ein Erlebnis für jeden Gläubigen, so Lemmen am Donnerstag im domradio.de-Interview. Gleiches gelte auch für Muslime.



Mit der Wallfahrt nach Mekka sei auch eine Tilgung der Sünden verbunden. "Es ist so etwas wie ein Neugeboren werden, alles hinter sich zu lassen, was im Leben nicht islamgemäß gewesen ist", beschreibt Lemmen.



Trotz hoher Kosten werden die deutschen Wallfahrer immer jünger - und schwärmen von der intensiven Glaubenserfahrung. Rund drei Millionen Menschen nehmen an der alljährlichen Pilgerfahrt ins saudi-arabische Mekka teil. Die muslimischen Wallfahrer beten in der weltweit größten Moschee Haram al-Sharif mit 130.000 Quadratmetern und lassen rund eine Million Schafe im größten Schlachthaus der Welt schlachten.



"Hadschi Murat" über Gelassenheit im Chaos

Auch der wohl weltweit längste Stau gehört zur Pilgerfahrt dazu, wenn auf einen Schlag Millionen von Menschen in Bussen von Arafat nach Muzdalifa transportiert werden. Murat Aslanoglu aus Waiblingen ist da lieber zu Fuß durch das Verkehrschaos gepilgert. Letztes Jahr trug der 40-Jährige die weißen Pilgertücher seines Vaters und war einer der rund drei Millionen Muslime, die ihrer religiösen Pflicht, dem "Hadsch", nachgingen.



Stundenlang stand Aslanoglu eingekeilt zwischen Menschen in der Arafat-Ebene. Die 50 Grad heiße Sonne brannte auf seinen Kopf. Seine Reisegruppe war verschwunden. "Das war eine Geduldprobe für mich", erinnert er sich. Trotz aller Strapazen hat "Hadschi Murat", wie er sich nach der Pilgerreise nennen darf, die ganze Zeit über ein "Gefühl des Glücks und der Gelassenheit" gehabt.



"Wie das leise Rauschen eines Flusses"

Nie wird er die besondere Atmosphäre in Mekka vergessen, das Murmeln von Tausenden Muslimen aus der ganzen Welt, das sich "wie das leise Rauschen eines Flusses" anhörte. In seinem Gebet ließ er sich auch nicht vom Inbegriff des saudischen Kommerzstrebens, dem Zamzam-Turm, stören. Der 603 Meter hohe Uhrturm ist Teil eines riesigen Hotelkomplexes. Ihn haben die Gläubigen bei den Umrundungen der Kaaba ständig im Blick. "Das muss man ausblenden, wenn man Gott nahe sein will."



Wer den Hadsch vollzieht, ist so sündenfrei wie am Tage seiner Geburt, lautet ein Ausspruch des Propheten Mohammed. Damit man möglichst sündenfrei stirbt, war es früher vor allem unter türkischstämmigen Muslimen üblich, als Rentner nach Mekka zu Pilgern, erklärt Bülent Ucar, Direktor des Zentrums für Interkulturelle Islamstudien an der Universität Osnabrück. Doch dies habe sich inzwischen geändert, was auch an der besseren wirtschaftlichen Situation der Pilger liege. Immerhin kostet eine organisierte Pilgerreise meist um die 3.500 Euro.



Hadsch ist religiöse Pflicht für Muslime

Ucar schätzt die Zahl der Pilger aus Deutschland, die dieses Jahr in Mekka sind, auf 15.000 bis 20.000 Muslime. In Seminaren vor der Reise und Internet-Schulungen wie beispielsweise auf der Seite "Go-Medinah" lernen die Wallfahrer, welche Rituale und Gebete auf dem Hadsch zu verrichten sind, damit dieser auch gültig ist. Die Reisegruppen werden von religiösen Anleitern begleitet, die den Pilgern bei der richtigen Ausführung des Hadsch helfen.



Auch Zahra Yilmaz aus Stuttgart hat einige Bücher gelesen, bevor sie in den Osterferien dieses Jahres mit ihren Freundinnen zur Kleinen Pilgerfahrt, der Umra, aufgebrochen ist. Da sie nicht im Hadsch-Monat ausgeführt wird, gilt diese Pilgerreise zwar als sehr verdienstvoll, aber nicht als Erfüllung der religiösen Pflicht. Ein Gebet, dass bei der Umrundung in Mekka gebetet wird, soll aber auch bei der Umra 100.000 Mal mehr als ein normales Gebet gelten.



"Mir ist vor lauter Hitze in Mekka der Schweiß den Rücken heruntergelaufen, aber es ist wunderbar, man vergisst alles um sich herum", sagt die 36-jährige Arzthelferin. "Es ist plötzlich egal, wie die Kleidung aussieht, oder ob man geschminkt ist. "Wichtig ist nur noch die Nähe zu Gott".



Suche nach der Nähe zu Gott

So rein wie ein neugeborenes Kind - das kann keiner nach der Pilgerfahrt bleiben, ist Aslanoglu überzeugt. Aber sein Ziel sei, immer wieder in diesen Zustand zurückzufinden, und auch zu Hause die Nähe zu Gott zu suchen. "So eine Reise kann einen geistlich voranbringen, warum soll man damit länger warten?"



Dieses Jahr feiert Aslanoglu das Opferfest zu Hause in Waiblingen. Er wird mit seinen zwei Söhnen morgens vor der Schule in die Moschee gehen, aber selbst kein Tier schlachten. Lieber spendet er das Geld an eine Wohltätigkeitsorganisation, die die Opfertiere an bedürftige Menschen in Afrika verteilt.