Debatte über "Amoris laetitia" und die Wiederverheirateten

Dürfen sie nun, oder nicht?

Die Diskussionen über das päpstliche Schreiben zu Ehe und Familie sind in der katholischen Kirche immer noch in vollem Gang. Auslöser ist eine scheinbar einfache Fußnote.

Autor/in:
Thomas Jansen
Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene? (dpa)
Kommunion für wiederverheiratet Geschiedene? / ( dpa )

Mehr als hundert Tage ist es nun her, dass Papst Franziskus "Amoris laetitia" veröffentlichte. Doch die Debatte darüber, wie das Anfang April erschienene Schreiben über Ehe und Familie zu verstehen ist, hält unvermindert an. Seit der Enzyklika "Humanae vitae", in der Paul VI. 1968 die künstliche Empfängnisverhütung verbot, wurde kaum ein päpstliches Schreiben innerkirchlich so kontrovers diskutiert und unterschiedlich gedeutet.

Die Wogen schlugen so hoch, dass sich der "Osservatore Romano" am Mittwoch genötigt sah, Kritiker von "Amoris laetitia" zur Räson zu rufen. Das ist ebenso ungewöhnlich wie ein jüngst bekanntgewordener Brief von 45 Theologen an das gesamte Kardinalskollegium. Ihre Bitte: Die Kardinäle mögen sich beim Papst für eine Beseitigung von "Irrtümern" in dem Schreiben einzusetzen.

Es geht um eine konkrete Frage, die sich Priestern täglich stellen kann: Dürfen wiederverheiratete Geschiedene zur Kommunion zugelassen werden, und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen?

Unterschiedliche Schlussfolgerungen

Wie unterschiedlich die Schlussfolgerungen ausfallen können, zeigen zwei Beispiele aus den vergangenen Wochen. Der Erzbischof von Philadelphia, Charles Joseph Chaput, empfahl wiederverheirateten Geschiedenen in einer Handreichung seines Bistums wie "Bruder und Schwester" zu leben, wenn sie die Kommunion empfangen wollten. Der emeritierte Münsteraner Kirchenrechtler Klaus Lüdicke erklärte hingegen, mit "Amoris laetitia" stelle Franziskus die Entscheidung über den Kommunionempfang dem Gewissen der wiederverheirateten Geschiedenen anheim.

Auslöser der Debatte ist Fußnote Nummer 351. Darin heißt es, wiederverheiratete Geschiedene könnten in "einigen Fällen" auch die "Hilfe der Sakramente" in Anspruch nehmen. Dies ist die einzige Stelle in "Amoris laetitia", die sich auf einen etwaigen Kommunionempfang von wiederverheirateten Geschiedenen bezieht. Zumindest dem Wortlaut nach, darin sind sich viele einig, kann man das als Neuerung verstehen: Künftig müssten wiederverheiratete Geschiedene demnach in ihrer zweiten Verbindung nicht mehr sexuell enthaltsam leben, um die Kommunion empfangen zu können, wie es bislang gültige Lehre war.

Fußnote statt klare Ansage

Kritiker wie der italienische Kardinal Carlo Caffarra argumentieren allerdings, man könne die kirchliche Lehre der vergangenen Jahrhunderte nicht im Handstreich mit einer einzigen Fußnote über Bord werfen. Wenn der Papst dies hätte tun wollen, so Caffarra, dann hätte er eine klare Ansage machen müssen. So jedoch schaffe er nur Unklarheit. In diesem Fall aber gelte die alte kirchliche Praxis, dass in Zweifelsfällen die bisherige Lehre Richtschnur für die Interpretation eines päpstlichen Dokuments sei. In diesem Sinne hatte sich auch der deutsche Kurienkardinal Walter Brandmüller geäußert.

Gegen diese Sichtweise wandte sich der Wiener Kardinal Christoph Schönborn. Die bisherige kirchliche Lehre müsse auch im Lichte von "Amoris laetitia" gelesen werden, betonte er. Zugleich bekräftigte er, dass Franziskus wiederverheirateten Geschiedenen den Kommunionempfang im Einzelfall möglich mache. Auf die konkreten Voraussetzungen ging er nicht ein.

Konsequenzen in Deutschland noch offen

In Deutschland gibt es bislang keine größere öffentliche Debatte. Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich noch nicht abschließend damit befasst, welche Konsequenzen sie aus "Amoris laetitia" für den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen zieht. Der Passauer Bischof Stefan Oster betonte jetzt in vorläufigen "Orientierungslinien" für sein Bistum, dass es für diese Personengruppe weiterhin keinen Zugang zur Kommunion gebe. Er stellte dies jedoch unter den Vorbehalt einer Regelung durch die Bischofskonferenz. Nach Ansicht des Osnabrücker Bischofs Franz-Josef Bode öffnet das Papstschreiben Türen "für differenzierte Wege, für Einzelfallentscheidungen und Überlegungen in Gesprächen mit Priestern". Der Konferenz-Vorsitzende Kardinal Reinhard Marx sowie eine Mehrheit der Bischöfe sind ähnlich wie Bode offenbar der Auffassung, dass Franziskus die geltende Lehre stärker mit dem Aspekt Barmherzigkeit verbinde - und diese das kirchliche Handeln prägen müsse, auch beim Thema Kommunionempfang.

Franziskus selbst antwortete auf die Frage, ob sein Schreiben "konkrete Neuerungen" in Sachen Sakramentenempfang für wiederverheiratete Geschiedene bringe: "Ich könnte sagen 'ja' und Punkt. Aber das wäre eine zu kleine Antwort." Man solle jedoch lieber die Ausführungen von Kardinal Schönborn über "Amoris laetitia" lesen.

Auffallend ist das Schweigen des nach dem Papst obersten Glaubenshüters in dieser Debatte: Kurienkardinal Gerhard Ludwig Müller. Der Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation hat bislang kein klärendes Wort gesprochen.

"Typisch jesuitisch"

Der "Osservatore Romano" griff nun zu einen strategischen Schachzug, indem er ausgerechnet einen alten Fahrensmann von Johannes Paul II. ins Rennen schickte: den italienischen Christdemokraten und früheren Europaminister Rocco Buttiglione. In einem Gastbeitrag warf er Kritikern des Schreibens vor, sie wollten lediglich ihre eigenen Theorien und Denkmuster bestätigt sehen und seien nicht offen für das Neue, das stets auch im Evangelium enthalten sei.

Bleibt schließlich eine Frage: Warum hat Franziskus eine derart entscheidende Aussage in einer Fußnote versteckt? Der Papst selbst antwortete darauf: "Ich erinnere mich nicht an diese Fußnote". Aufschlussreich ist womöglich die Äußerung eines Vertrauten von Franziskus, Erzbischof Bruno Forte. Franziskus habe ihm für das Abschlusspapier der Bischofssynode über Ehe und Familie aufgetragen, den Kommunionempfang für wiederverheiratete Geschiedene nicht direkt anzusprechen, das gebe nur Aufregung, zitierten italienische Medien Forte. Er solle nur die Voraussetzungen schaffen, die Schlussfolgerungen daraus ziehe dann er, der Papst. Fortes Kommentar dazu: "Typisch jesuitisch".


Quelle:
KNA