Ethiker Lob-Hüdepohl gegen Aufhebung der Impfpriorisierung

Verstoß gegen das Gerechtigkeitsprinzip?

Das Ethikrat-Mitglied Andreas Lob-Hüdepohl hat die Aufhebung der Impfpriorisierung in mehreren Bundesländern kritisiert. Der Theologe forderte den Gesetzgeber außerdem dazu auf, auch Nicht-Geimpften mehr Freiheiten zu ermöglichen.

Zahlreiche Impfwillige warten in Berlin- eukölln, wo eine Schwerpunktimpfung gegen Corona stattfindet / © Bernd von Jutrczenka (dpa)
Zahlreiche Impfwillige warten in Berlin- eukölln, wo eine Schwerpunktimpfung gegen Corona stattfindet / © Bernd von Jutrczenka ( dpa )

Es verstoße gegen das Prinzip der Gerechtigkeit, "die noch nicht durchgeimpften Personen mit höherer Dringlichkeit dem Windhund- und Ellenbogenprinzip auszusetzen", sagte der Berliner Theologe im Interview der "Welt" (Dienstag). Die über 80-Jährigen hätten ein 500-fach höheres Risiko, schwer an Corona zu erkranken als die 40-Jährigen.

Theologe Andreas Lob-Hüdepohl / © Julia Steinbrecht (KNA)
Theologe Andreas Lob-Hüdepohl / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Bei den über 60-Jährigen sei das Risiko noch 50-fach erhöht. "Wenn Bayern, Baden-Württemberg und jetzt auch Berlin und Brandenburg die Priorisierungsregeln außer Kraft setzen, setzen sie auch das Gerechtigkeitsprinzip in der Impfstoffverteilung außer Kraft."

Mehr Freiheit für Nicht-Geimpfte

Lob-Hüdepohl forderte den Gesetzgeber zudem auf, auch Nicht-Geimpften mehr Freiheiten zu ermöglichen. "Wer einen negativen aktuellen PCR-Test vorweisen kann, muss eine Party besuchen können, ähnlich wie Geimpfte", sagte er.

"Ansonsten bekommen wir ein großes Akzeptanzproblem." Den Nicht-Geimpften sei bereits ein "doppelter Nachteil" entstanden. "Sie müssen Einschränkungen ihres Gesundheitsschutzes hinnehmen und zudem länger warten, bis sie wieder in den Genuss ihrer Grundrechte kommen. Das ist durchaus bedenklich - auch mit Blick auf unsere Verfassung", so der Theologe.

Montgomery​: Kernproblem ist Impfstoff-Mangel

Der Ehrenpräsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, zeigt sich skeptisch, ob eine Verteilung durch die Hausärzte zu einer besseren Verteilung führen werde. Die Aufhebung der Priorisierung sei "die klassische Verantwortungsverlagerung" der Politik, sagte Montgomery am Montag bei RTL/ntv. "Sie macht den schlanken Fuß und schiebt den Hausärzten das Problem zu." Das Kernproblem sei der Mangel an Impfstoff, so der Experte.

Er rechne dennoch damit, dass "bis Mitte, Ende des Sommers" das Gröbste überstanden sein werde. Impfen sei, auch gegen mögliche Virusvarianten, nach wie vor die wichtigste Maßnahme, betonte Montgomery. Und weiter: "Wir müssen uns auch irgendwann mit denjenigen auseinandersetzen, die sich der Impfung verweigern."

Ärzteverband warnt vor Aufhebung der Impfpriorisierung in Praxen

Die Chefin des Ärzteverbandes Marburger Bund, Susanne Johna, hat vor der Aufhebung der Impfpriorisierung in Arztpraxen gewarnt. Dadurch gebe es nicht mehr Impfstoff, "sondern einfach noch mehr Menschen, die um ein knappes Gut konkurrieren", sagte Johna im Deutschlandfunk. 

Wer besonders drängele, komme dadurch möglicherweise früher zum Zug, als Menschen, die besonders geschützt werden müssen. Schon jetzt fühlten sich viele niedergelassene Ärzte "wie die letzte Mauer" bei der Impfstoffvergabe. 

Symbolbild Impfen / © HQuality (shutterstock)
Quelle:
KNA