Über Hürden zur Corona-Impfung

Menschen über 80 oft alleingelassen

Nach den Heimbewohnern sind nun Menschen mit der Corona-Impfung dran, die 80 Jahre und älter sind, aber noch zu Hause leben. Sie kümmern sich um vieles selbst, aber die Impf-Bürokratie überfordert manche. Viele fühlen sich alleingelassen.

Autor/in:
Sebastian Stoll
Ein Rentner mit einem medizinischen Mundschutz / © David Herraez Calzada (shutterstock)
Ein Rentner mit einem medizinischen Mundschutz / © David Herraez Calzada ( shutterstock )

Ohne den Schwiegersohn hätte es nicht geklappt. "Er rief mich abends an und sagte, er sei gerade auf der Internetseite mit der Terminvergabe und brauche jetzt meine Daten." Ursula Kurth sagte ihm, was er wissen wollte, E-Mail-Adresse, Geburtsdatum und noch ein paar andere Dinge - und ein paar Minuten später bekam sie auf ihr Handy einen Code geschickt und einen Termin. Eine E-Mail-Bestätigung auf dem PC gab es auch noch, den Ausdruck schaffte sie allein. "Ich weiß durchaus, wie ich einen Computer bedienen kann, und auch mit Google kann ich umgehen. Aber wenn man keine Kinder hat, die einem das abnehmen, ist es wirklich schwierig, einen Termin auszumachen", sagt Ursula Kurth.

Die Hamburgerin ist 80 Jahre alt und gehört somit zu jenen, die schon an der Reihe sind, gegen das Coronavirus geimpft zu werden.

Menschen innerhalb dieser Gruppe, die in einem Alten- oder Pflegeheim leben, müssen sich über den Termin meist keine Gedanken machen, ein Impfteam kommt einfach irgendwann ins Heim. Anders ist es bei denen, die noch zu Hause leben. Von ihnen wird erwartet, dass sie vieles an dem Vorgang selbst organisieren. Viele scheitern daran, viele andere schaffen es nur mit Hilfe. Ursula Kurth ist eine von Millionen in ganz Deutschland.

Terminvergabe ist Ländersache

Wie die Termine vergeben werden, ist Ländersache, es gibt dabei zahlreiche kleinere Unterschiede. Meistens läuft es aber darauf hinaus, dass Impfwillige sich online oder telefonisch einen Termin besorgen müssen. In vielen Ländern, so auch in Hamburg, werden Briefe verschickt, die dazu auffordern, einen Termin auszumachen. Hans Peter Opitz, 85 Jahre, wusste das bereits, bevor der Brief kam. "Ich hatte von Bekannten gehört, dass man sich jetzt anmelden kann. Also habe ich einfach die 116 117 gewählt."

Er kam durch, bekam einen Termin gleich Anfang Januar und einen Code, den er im Impfzentrum vorzeigen musste. Dass er wegen möglicher Nebenwirkungen besser nicht mit dem Auto anreisen soll, sagte ihm jedoch niemand. Er hätte diesen Rat auch nicht gewollt. "In die U-Bahn wollte ich nicht, das ist mir zu gefährlich."

Nicht jeder Mensch über 80 ist so schnell im Kopf und kurz entschlossen wie Opitz. Viele sind mit dem Brief überfordert. Wie viele, das hat man etwa bei der AWO in Hamburg gemerkt, als man Mitte Januar eine Hotline für all diese Menschen und ihre Fragen einrichtete: Allein am ersten Tag meldeten sich 1.600 Menschen.

Daten eintippen

"Jeder hat uns darum gebeten, ihn anzumelden. Also gehen wir für die Hochbetagten ins Internet und geben dort ihre Daten ein", sagt AWO-Mitarbeiterin Renate Polis. Das Problem: Anmeldungen werden in Hamburg nicht gespeichert. Man bekommt entweder einen Termin - oder muss es noch mal versuchen. Seitdem seien sieben Mitarbeiter jeden Tag viele Stunden damit beschäftigt, Daten abzufragen - und dann wieder und wieder einzutippen, sagt Renate Polis.

Eigentlich hätte sie gerne viel mehr Zeit, um mit den Menschen zu reden. "Viele Menschen sagen mir, dass sie seit Monaten fast gar nicht mehr das Haus verlassen. Sie sitzen zu Hause, gucken Fernsehen und warten darauf, dass die Pandemie vorbei ist."

Kaum jemand bekomme das mit, denn sonst ließen diese Menschen nichts von sich hören - und auf der Straße sehe man sie auch nicht. Sie seien einfach aus dem Blickfeld verschwunden. "Ich habe auch schon von Leuten gehört: 'Wäre ich doch ins Altersheim gegangen, dann wäre ich jetzt schon geimpft.'"

So frustriert ist Ursula Kurth nicht. Aber auch sie ist seit Monaten kaum noch aus dem Haus gegangen, hat Tochter und Freundinnen wenig gesehen. Und eigentlich hat sie noch viel vor. "Es wäre schön, wenn ich mich endlich wieder freier bewegen kann. Ich habe einen Wohnwagen und möchte gerne wieder an die Ostsee fahren."


Quelle:
epd
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