Musik und Kultur in der Corona-Zeit

"Es war eine Vollbremsung"

Vor fast leeren Rängen spielen: So langsam beginnt auch für Berufsmusiker wieder der Alltag, wenn auch auf ungewöhnliche Weise. Der Orchestermusiker Armin Behr erzählt von ungewöhnlichen Zeiten - und warum Kultur systemrelevant ist.

Chor- und Orchestermusik / © Jens Kalaene (dpa)
Chor- und Orchestermusik / © Jens Kalaene ( dpa )

Himmelklar: Wie geht es einem, als Berufsmusiker zu Corona-Zeiten?

Armin Behr (Bratschist bei den Dortmunder Philharmonikern): Also ich muss sagen - speziell als Berufsmusiker -, geht es mir inzwischen wieder ganz gut. Tatsächlich ist heute der letzte Tag der Spielzeit. Unsere Spielzeit endet mit einem Konzert. Lange war ja gar nicht klar, dass das überhaupt so kommen könnte. Wir haben ganz lange gar nicht spielen können. So ganz allmählich haben wir in den letzten Wochen wieder angefangen: mit ganz kleinen Schritten, weil wir auch diese ganzen Corona-Spielregeln erst einmal für uns ausdenken, kennenlernen und umsetzen mussten. Das war nichts, wo wir einfach gesagt haben: “Hebel umlegen, wir spielen wieder.“ Sondern das ging alles nur Schritt für Schritt.

Himmelklar: Klar, der Lockdown kam da schneller, als es jetzt wieder in Fahrt kommt...

Behr: Der Lockdown kam bei uns am 13. März an. Da waren wir noch eines der letzten Theater, die überhaupt gespielt haben. Wir hatten die Premiere einer Oper vorbereitet. Zum Probenprozess Oper gehört die Premiere immer noch dazu. Bis zur Premiere wird noch am Konzept, am Licht und an allen möglichen Dingen gefeilt. Am 13. März haben wir dann eine Premiere gespielt, in der nur Journalisten sitzen durften. Da war also überhaupt nur eine Handvoll an Zuhörern da. So eine Premieren-Atmosphäre kam natürlich gar nicht auf - Kritiker sind auch nicht besonders klatschfreudig. Die Stimmung war wirklich einer Geister-Premiere angemessen. Das war unser letzter Dienst. Es war schon sehr eigenartig, nach so einem Erlebnis nach Hause zu gehen mit dem Wissen: So, jetzt wird erstmal längere Zeit nichts mehr passieren.

Himmelklar: Der berühmt-berüchtigte Freitag der 13. Das war der Tag im März, ab dem die Pandemie unseren Alltag in Deutschland so richtig betroffen hat. Versetzen wir uns dahin zurück: Wie war das für Sie? Ich spiele zwar selbst Violine - aber in meiner Freizeit. Meine eigenen Orchester-Proben sind seit der Corona-Pandemie natürlich auch ausgesetzt. Mir fehlt das. Aber das ist natürlich nicht mit dem zu vergleichen, was man erlebt, wenn Musik der eigene Beruf ist und man davon abhängig ist. Was war das für ein Gefühl?

Behr: Es war erstmal eine Vollbremsung. Wenn bei uns die Spielzeit läuft, dann arbeiten wir eher im Sieben-Tage-Betrieb als im Sechs-Tagen-Betrieb. Wenn ich einen Tag keine Vorstellung habe, dann stehe ich garantiert zu Hause und muss mich auf das vorbereiten, was kommen wird. Die Pläne bis zum Ende der Spielzeit waren voll: Wir wollten zum Beispiel nach Belgrad fahren und da an einem Tag mit einem anderen Orchester zusammen alle Beethoven-Sinfonien aufführen. Das war noch ein Riesenprojekt, was kommen sollte. Es standen noch Opern-Premieren an und Abo-Konzerte. Alles Mögliche war noch geplant. Entsprechend steht man als Musiker voll im Saft - wie ein Sportler, der Saison hat und seine Wettkämpfe bestreitet. Auf einmal war dann einfach gar nichts mehr. Das war schon sehr eigenartig, weil die Energie natürlich noch da ist. Ich habe dann zu Hause relativ schnell selber wieder ein Instrument in die Hand genommen und für mich geübt. Aber lustigerweise überhaupt nicht Bratsche - sondern ich habe gedacht: Guck mal, da liegt noch meine Geige. Ich komme normalerweise nie dazu, auch mal Geige zu spielen. Ich habe als Kind mit Geige angefangen und bin dann später auf die Bratsche umgestiegen - das passt für mich schon besser. Aber auf einmal hatte ich die Chance, Sachen auf der Geige zu spielen, für die im normalen Berufsalltag nie Zeit bleibt. Diesen Aspekt habe ich wirklich genossen.

Himmelklar: War da denn die Motivation weg, mit der Bratsche zu üben? Es standen ja im Lockdown keine Konzerte mehr an. Oder haben Sie die Zeit nutzen müssen, um fit zu bleiben?

Behr: Fit bleiben ist ganz wichtig. Für uns war ja auch nie klar: Wann geht es wieder los? In den ersten Wochen dachten wir noch: Okay, das ist eine Unterbrechung von zwei, drei, vielleicht vier Wochen - und dann fangen wir wieder mit dem Spielen an. Da können wir uns längere Pausen im Üben gar nicht leisten. Noch schlimmer ist es für Musiker, die Blasinstrumente spielen. Die müssen ihre ganze Muskulatur, ihre Atmung und Lippenspannung fit halten. Die mussten also wirklich dranbleiben. Ich habe mir erlaubt, den kleinen Umweg über die Geige zu nehmen. Da habe ich im Prinzip den gleichen Bewegungsablauf - aber doch andere Bedingungen. Als ich später wieder zur Bratsche rüber gewechselt bin, habe ich gemerkt, dass man auf beiden Instrumenten doch anders arbeiten muss. Aber es war schon gut, die ganze Zeit ein Instrument in der Hand gehabt zu haben.

Himmelklar: Hat das Ihre Nachbarn nicht irgendwann genervt? Die haben Sie ja viel mehr Üben gehört, weil Sie nicht in der Philharmonie gesessen haben.

Behr: Ich habe das große Glück, dass ich nicht in einer Mietwohnung wohne, sondern in einem Reihenhaus. Das ist so gebaut, dass meine Nachbarn - die auch gar nicht viel da sind - sich noch nie über irgendwas beschwert haben. Deswegen habe ich hier stundenlang stehen können und so lange üben können, wie ich wollte. Das passt immer wunderbar.

Himmelklar: Aber das ist bestimmt nicht bei allen Kollegen so...

Behr: Nein, nein. Gerade die Kollegen, die lautere Instrumente spielen - speziell die Blechbläser - die hatten da andere Probleme. Sie durften dann aber auch die Übungsräume im Theater weiter benutzen, wovon wir nur sehr wenige haben. Ein anderer Kollege hatte sich eh eine schalldichte Kabine in sein Haus gebaut. Der konnte darin dann gut proben. Irgendwie hat jeder seine Möglichkeiten gefunden, um weiterzumachen.

Himmelklar: Jetzt haben die Konzerte langsam wieder angefangen: ein Schritt Richtung Normalität. Aber es sind doch sehr wenige Plätze, die in so einer Philharmonie - auch im Dortmunder Konzerthaus - besetzt werden dürfen. Ich habe ein Foto mit den markierten Plätzen gesehen: Viele sind es nicht. Ist das sinnvoll?

Behr: Sinnhaftigkeit, das ist gar nicht mein Thema. Ich bin heilfroh, in dieser Zeit nicht die Verantwortung dafür tragen zu müssen, wie Veranstaltungen stattfinden. Darüber müssen sich andere Menschen Gedanken machen und das dann kompetent entscheiden. Wenn das Konzept so ist, dann wird das schon stimmig sein, denke ich. Ich habe selber noch kein Konzert unter diesen Bedingungen gespielt - also im Opernhaus oder im Konzerthaus mit ganz vielen gesperrten Plätzen. Was ich gemacht habe, waren Konzerte, die Open-Air stattgefunden haben. Das war dann zum Beispiel im Garten eines Altenheims, wo die Leute dann in ihren Zimmern geblieben sind und durch die Fenster geguckt haben - oder vor einem Mehrgenerationenhaus, wo wir in einem Pavillon im Garten gesessen haben und auf der Wiese standen ein paar Stühle. Das war ein sehr, sehr offenes Format. Dann hatten wir zuletzt im Theater Terrassen-Konzerte. Da hatten wir eine überdachte Bühne auf der Terrasse aufgebaut und davor hundert Stühle, die paarweise zusammenstanden. Mit Abstand natürlich. Das war ja für diesen Anlass speziell aufgebaut - und das war absolut stimmig. Da fehlte gar nichts. Das war einfach genau richtig.

Himmelklar: Das ist die andere Alternative: Man geht an die frische Luft.

Behr: Wenn man im Konzerthaus sitzt und dann auf viele, viele leere Stühle blickt, von denen man ja weiß, dass sie normalerweise gefüllt sind, dann ist das ein anderes Gefühl, als wenn man auf der Bühne sitzt und es sind alle Stühle besetzt. Dazwischen ist ein bisschen Platz - da stehen einfach keine Stühle.

Himmelklar: Jetzt sind Sie städtisch angestellt bei den Dortmunder Philharmonikern. Das ist natürlich eine enorme Absicherung. Die Musiker, die selbstständig und freiberuflich sind, stehen vor großen finanziellen Problemen. Das betrifft diejenigen, die bei Ihnen im Orchester für einige Werke oder für Aufführungen aushelfen. Oder die, die beispielsweise die Gottesdienste in den Kirchen musikalisch gestaltet hätten. Wie sieht es mit denen aus?

Behr: Das ist ganz bitter. Gerade freie Musiker unterrichten auch und verdienen damit einen kleinen Sockelbetrag. Aber letztendlich leben sie davon, dass sie Konzerte spielen. Damit verdienen sie doch einen guten Teil ihrer Einnahmen. Es gibt natürlich auch Leute, die im Musical-Bereich spielen oder die mit Bands unterwegs sind. Die haben tolle Pläne gehabt und fahren von Festival zu Festival, um ihr Einkommen zu bestreiten. Das ist ja alles komplett weg. Da gibt es auch keinen Plan B. Wer viel unterwegs ist, kann zuhause nicht viele Schüler haben. Das heißt, bei denen ist wirklich alles auf null gefahren. Das ist eine Situation, bei der ich sagen muss: Da hab ich den Luxus, städtischer Angestellter zu sein, sehr, sehr bewusst wahrgenommen. Mir hat diese Corona-Krise persönlich keinen finanziellen Druck gemacht. Mein Gehalt kam weiter. Das kennen viele Menschen, die fest angestellt sind. Aber alle anderen in meinem Berufsfeld, die frei Einkünfte erzielen müssen, für die sieht das ganz anders aus.

Himmelklar: Die Corona-Krise deckt einige Schwachstellen in unserer Gesellschaft auf. Was meinen Sie, macht das mit Künstlern und Musikern?

Behr: Ich weiß es noch nicht. Definitiv gehen wir alle mit dem Thema sensibler um. Normalerweise arbeiten wir in unseren Orchestern und dann kommen immer Gäste für spezielle Instrumente dazu. In unserem Fall ist das oft der Fall, weil wir einfach niemanden haben, der Mandoline spielen kann - oder Hackbrett (Anm.d.Red.: ein Instrument, bei dem die Saiten mit Klöppeln angeschlagen werden). Das sind Instrumente die ab und zu mal in speziellen Produktionen gebraucht werden. Die Musiker sind nette Gäste - und dann gehen sie wieder. Man denkt nicht groß drüber nach, wovon die eigentlich leben. Da gehen wir jetzt schon mit einer anderen Sensibilität ran. Unsere Gewerkschaft hat sich jetzt ein bisschen anders positioniert und ist offener geworden. Freiberufliche Mitarbeiter können jetzt auch aufgenommen werden. Es gab eine Spendenaktion. Damit kann man zumindest zeigen: "Wir denken an Euch." Ich glaube nicht, dass wir damit viele Menschen gerettet haben. Aber es ist immerhin einer von den kleinen Steinen.

Himmelklar: Die andere Seite sind ja wir, die vielleicht in ein Konzert gehen und Kultur konsumieren. Das ist schon Genuss, oder?

Behr: Ich denke schon. Wenn ich in ein Konzert gehe, dann genieße ich das.

Himmelklar: Die Diskussion ist da ja: Was ist systemrelevant? Was brauchen die Menschen zum Leben? Würden Sie sagen, Kultur ist Luxus? Oder braucht die Gesellschaft Musik und Kunst?

Behr: Ich denke tatsächlich, dass die Gesellschaft Kultur und Kunst braucht. Das sind Themenfelder, bei denen der Mensch wieder zu sich selbst zurückgeführt wird. Es gibt Menschen, die aktiv in ein Konzert gehen: Aber nicht nur, um ihre Zeit abzusitzen, schöne Töne zu hören und schöne Kostüme zu sehen. Sondern um eine Zeit zu haben, in der ich mich aus allem anderen ausklinke. Mein Handy läuft nicht. Ich unterhalte mich nicht mit meinem Sitznachbarn - zumindest meistens nicht. Ich sitze da. Höre - und gehe einen Weg nach innen. Ich glaube, dass diese Zeiten für uns ungeheuer wertvoll sind. Daher ist alles, was mit Kunst zu tun hat, für alle Menschen ein wahnsinniges Angebot.

Himmelklar: Wir fragen jeden, mit dem wir hier im Himmelklar Podcast sprechen: “Was gibt Dir Hoffnung in dieser Zeit? Also: Was gibt Ihnen Hoffnung, Armin?

Behr: [Lacht] Zuerst hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass diese Zeit - so krisenhaft sie auch ist - eine unglaubliche Chance ist. Ich hatte selten das Gefühl, dass die Menschen so rücksichtsvoll miteinander umgehen, wenn ich mich in meinem Ortsteil oder in der Stadt bewege. Niemand rennt den anderen über den Weg. Man macht sich gegenseitig Platz. Alles in Ruhe. Ich finde, es war eine ganz andere Aufmerksamkeit für meine Mitmenschen da. Das hat sich jetzt schon wieder ein bisschen verloren. Ich hoffe, dass davon trotzdem etwas bleibt - dass wir wieder das Gefühl haben, dass nicht jeder für sich selber kämpfen muss, sondern dass wir alle zusammen eine Gesellschaft und eine Gemeinschaft sind, in der jeder seine Stärken einbringen darf, damit alle zusammen vorwärtskommen.

Das Gespräch führte Katharina Geiger.

Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch und Katharina Geiger.


Armin Behr (privat)

Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht (MDG)
Podcast: Himmelklar - Fürchtet Euch nicht / ( MDG )
Quelle:
DR
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