Wie das Coronavirus die muslimischen Gemeinden lahmlegt

Keine Wallfahrt nach Mekka?

Die Corona-Krise trifft auch die Moscheegemeinden hart. Freitagsgebete fallen aus, der bevorstehende Fastenmonat wird nur auf Sparflamme begangen. Dafür ertönt jetzt an vielen Moscheen der Gebetsruf.

Autor/in:
Christoph Schmidt
Viel Andrang bei der Wallfahrt in Mekka / © Nurlan Mammadzada (shutterstock)
Viel Andrang bei der Wallfahrt in Mekka / © Nurlan Mammadzada ( shutterstock )

Und was wird aus der Mekka-Wallfahrt? Wenn am 23. April der Ramadan mitten in der Corona-Krise beginnt, stehen die muslimischen Gemeinden in Deutschland vor einer Situation ohne Beispiel. "Das ist ein totales Novum in der islamischen Geschichte", sagt Zekeriya Altug vom Vorstand des größten Moscheeverbands Ditib.

"Normalerweise sind die Moscheen im Fastenmonat jeden Abend gut besucht. Viele Gläubige feiern hier gemeinsam das Fastenbrechen und hören die Koranrezitationen - das fällt wohl auf unbestimmte Zeit aus."

Auch die abendlichen Besuche bei Angehörigen und Freunden werden stark reduziert, erwartet Altug. Ein Ramadan ohne Gemeinschaft - für Muslime kaum vorstellbar. "Wir brauchen komplett neue Formate", überlegt Altug. Aber viel mehr als Online-Übertragungen oder telefonischer Kontakt zu Gläubigen steht nicht zur Verfügung.

Livestreams retten die Lage

Genau wie die Kirchen überbrücken muslimische Gemeinden das Versammlungsverbot bei Gottesdiensten mit Livestreams. Rund 100.000 Gläubige verfolgen so etwa das Freitagsgebet aus der Kölner Zentralmoschee der Ditib, berichtet Altug.

Der Koordinationsrat der Muslime (KRM) hat eine Anfrage an ARD, ZDF und Deutschlandfunk gestellt, künftig auch muslimische Angebote zu übertragen. "Wir haben hier erste positive Rückmeldungen erhalten und sind weiter im Gespräch", so Altug, der derzeit auch als KRM-Sprecher fungiert.

Allerdings betonen islamische Theologen, dass die virtuelle Teilnahme das verpflichtende Gemeinschaftsgebet am Freitag nicht ersetzen kann.

Dafür braucht es die geschlossenen Reihen der Betenden hinter einem Imam. Zugleich gibt es aber auch überlieferte Aussagen des Propheten Mohammed, wonach sich die Menschen nicht vermischen sollen, wenn Seuchen durchs Land ziehen.

Herbe finanzielle Verluste

Für die Gemeinden könnte der Ausnahmezustand neben dem spirituellen auch herbe finanzielle Verluste bedeuten. "Spendenaufrufe während der Freitagsgebete, zum Beispiel für Bauprojekte, bringen in einer Moschee an ein, zwei Freitagen schnell die Gesamtsumme zusammen", sagt der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek.

Er denkt nicht, dass solche Beträge durch Überweisungen zusammenkommen. "Die Leute spenden spontan und cash." In dem Fall könnte es sogar ein Vorteil sein, dass der Ramadan mitten in die Corona-Krise fällt. Denn der Fastenmonat ist traditionell eine Zeit des Gebens und Spendens. Doch auch hier droht: Die Gotteshäuser könnten ganz geschlossen bleiben, was für nicht wenige Moscheen das Aus bedeuten könnte, meint Mazyek.

Was wird aus der Haddsch?

Noch eine weitere zentrale Säule des Islam steht ganz im Schatten des Virus: der Haddsch, die Wallfahrt nach Mekka vom 28. Juli bis 2. August. "Als Saudi-Arabien letzte Woche den Muslimen empfahl, die Planungen für den Haddsch vorsorglich einzustellen, war das ein Donnerschlag", so Mazyek.

Er schätzt, dass rund 15.000 Muslime aus Deutschland davon betroffen sind. "Das ist für sie der Höhepunkt ihres religiösen Lebens, auf den sie sich in den Gemeinden ein Jahr lang vorbereiten, und die ganze Familie nimmt daran Anteil." Nun ruhen überall die Kurse, werden Buchungen storniert.

Bleibt die Frage, ob die Pandemie wenigstens den Zusammenhalt zwischen Muslimen und Mehrheitsgesellschaft stärken kann, jetzt wo alle im gleichen Boot sitzen und Corona-Themen alles überlagern - auch die Integrationsdebatte. Für Altug ist es ein wichtiges Signal, dass in der Krise nicht nur die Kirchenglocken läuten, sondern auch der islamische Gebetsruf an vielen Moscheen per Lautsprecher nach außen schallt.

"Früher haben wir aus nachbarschaftlichen Gründen darauf verzichtet, auch wenn wir gemäß der Religionsfreiheit das Recht gehabt hätten. Aber in der Gefahr sehen wir den Muezzinruf als ein Zeichen für Solidarität." Dafür habe die Ditib viel Zustimmung erhalten, auch von Kirchenvertretern.

Seyran Ates mahnt

Doch nicht alle finden das gut. Neben primitiven Hasskommentaren gibt es in den Sozialen Medien auch besorgte Stimmen, die den Einzug der "Allahu Akbar"-Rufe durch die Hintertür befürchten, auch nach der Krise. Am Wochenende sorgte obendrein der Gebetsruf vor der Berliner Dar-as-Salam-Moschee für einen Massenauflauf von Muslimen und bundesweite Schlagzeilen. Die Polizei musste einschreiten.

Für die liberale Muslimin und Frauenrechtlerin Seyran Ates stehen die Verbände jetzt mehr denn je in der Pflicht, ihre Moscheen als loyalen Teil der Gesellschaft herauszustellen. "Die Politik hat die Verbände immer hofiert. Nun zeigt sich, ob hier alle an einem Strang ziehen." Bisher sieht es überwiegend danach aus.

 

Quelle:
KNA
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