Wie Menschen mit Seheinschränkung die Pandemie erleben

Blind durch die Corona-Krise

Für viele ist die Corona-Krise eine herausfordernde Zeit. Abstand halten ist nun das Stichwort. Wie blinde und sehbehinderte Menschen diese Zeit erleben, berichtet unsere blinde Volontärin Nina Odenius.

Autor/in:
Nina Odenius
Nina Odenius an der Bahnhaltestelle zu Coronazeiten / © Caroline Wegener (privat)
Nina Odenius an der Bahnhaltestelle zu Coronazeiten / © Caroline Wegener ( privat )

Normalerweise fahre ich morgens mit der Bahn zum Multimediasender DOMRADIO.DE. Es herrscht meist reges Treiben am Kölner Hauptbahnhof und am Dom. Nun aber ist es still in den Straßen. Auch wir vom Sender arbeiten mittlerweile soweit es geht von zu Hause aus. Für mich hat sich das Bahnfahren damit auch erübrigt.

Abstand halten

Es soll Abstand gehalten werden zum Nächsten. "Social Distancing" ist das Gebot der Stunde. Für blinde Menschen wie mich nicht einfach. Wie soll man den Abstand zu den anderen einschätzen? Deshalb gehe ich persönlich nur noch in Begleitung nach draußen zum Spazieren oder Einkaufen. Die Begleitung kann dann mit mir zusammen den erforderlichen Abstand einhalten.

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren

Das letzte Mal bin ich vor zwei Wochen Bahn gefahren – mit Handschuhen. Man ist als blinder Mensch darauf angewiesen, Dinge anzufassen. Da gaben mir die Handschuhe etwas Sicherheit. Dennoch war es ein seltsames Gefühl, die Haltestangen in der Bahn zu berühren.

Auch für andere blinde und sehbehinderte Menschen ist das ein Problem. "Man kann nicht sehen, wohin man sich setzt. Außerdem sprechen die Fahrgäste zurzeit weniger, aus Angst vor Ansteckung und deshalb kann man als Blinder nicht mehr einschätzen, wo freie Plätze sind und wo nicht", sagt Rose Jokic von der EUTB-Beratungsstelle bei "Selbstbestimmt Leben" in Köln. Auch seien die Menschen, die helfen wollten, verunsichert, so Jokic, da es aufgrund des Abstandhaltens nicht möglich ist, einem blinden oder sehbehinderten Menschen den Arm zu reichen.

Außerdem gibt es das Problem, dass viele Linienbusse die Vordertür nicht mehr öffnen. So können blinde oder sehbehinderte Menschen nicht mehr die Liniennummer erfragen. Da immer weniger Fahrgäste im Bus sind, gestaltet sich auch das Fragen der Mitmenschen schwierig.

Den Alltag meistern

Trotz der Einschränkungen muss der Alltag weitergehen. Viele blinde Menschen verlassen nur noch in sehender Begleitung das Haus, da sie sich momentan alleine unsicher fühlen. Natürlich gibt es auch Unterstützung von Familie und Freunden, die beim Einkaufen helfen oder in deren Haushalt man übergangsweise miteinziehen kann, um nicht alleine zu sein.

Das Arbeiten zuhause bietet Vor- und Nachteile. Aufgrund der technischen Möglichkeiten ist das auch für blinde Menschen machbar. Problematisch wird es nur, wenn die Programme von der Sprachausgabe des Computers nicht vorgelesen werden können. So sind Plattformen für Videokonferenzen nicht immer gut bedienbar. Auch der Kontakt zu Arbeitsassistenten ist meist nur telefonisch möglich.

Für blinde Physiotherapeuten oder Masseure beispielsweise ist die Situation ebenfalls nicht einfach. Viele Aufträge brechen weg und das verursacht gerade bei Selbstständigen große finanzielle Einbußen.

Umdenken in der Krise

Rainer Gießen ist sehbehindert und betreibt ein Weingut in der Nähe von Worms. Ihm hat die Krise noch nicht so hart zugesetzt. Natürlich musste auch er Veranstaltungen wie Führungen auf dem Weingut oder Fortbildungen absagen, aber der Verkauf überwiegend an Privatkunden läuft noch gut.

"Ich darf allerdings keine Weinproben mehr ausschenken. Die Kunden müssen also ohne zu probieren entscheiden, ob sie einen Wein kaufen möchten", erläutert Gießen. "Da ich überwiegend für den Verkauf und die Organisation des Weinguts tätig bin und meine Angestellten die Außenarbeiten machen, habe ich als sehbehinderter Winzer keine Einschränkungen." Schwierig wird es erst im Sommer, wenn die Weinernte beginnt und die Einreisesperre für Saisonarbeitskräfte immer noch bestehen sollte.

Beratungsangebote

Der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) bietet eine Internetseite mit Informationen und Verhaltenstipps in der Coronakrise. Unter https://www.dbsv.org/corona.html findet man alles Wissenswerte zum Thema. "Diese Seite gibt klare Verhaltenstipps und nimmt viel Unsicherheit", sagt DBSV-Präsident Klaus Hahn.

"Die Nutzung von Hilfsangeboten über das Internet und andere Medien ist sehr zu empfehlen", fügt Hahn hinzu. In einem Interview auf der genannten Seite rät der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit unter anderem zum Tragen von Handschuhen im öffentlichen Raum.


Klaus Hahn, Präsident des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) / © DBSV/Ziebe (privat)
Klaus Hahn, Präsident des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV) / © DBSV/Ziebe ( privat )

Winzer Rainer Gießen / © DVBS / Andreas Mann (privat)
Winzer Rainer Gießen / © DVBS / Andreas Mann ( privat )
Quelle:
DR