Berliner Caritasdirektorin will Diskussion über Suizidbeihilfe

"Offene und angstfreie Debatte zulassen"

Die Kirche muss sich trotz ihrer Ablehnung der Suizidbeihilfe den damit verbundenen Fragen stellen, meint die Berliner Caritas­direktorin Ulrike Kostka. Eine Diskussion über die Beihilfe dürfe "kein Tabu sein", forderte Kostka.

Symbolbild Sterbehilfe / © NATNN (shutterstock)

KNA: In der gerade zu Ende gegangenen ökumenischen "Woche für das Leben" haben Bischöfe nachdrücklich gegen eine Suizidbeihilfe Position bezogen. Sie haben betont, dass ein bloßes "Nein" nicht ausreicht. Warum?

Ulrike Kostka (Direktorin des Caritasverbandes im Erzbistum Berlin und Moraltheologin der Universität Münster): Wir erleben in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Hospizen, aber auch in Beratungsdiensten, dass es die Menschen bewegt, ob ein selbstbestimmter Tod für sie der richtige Weg sein kann. Das ist erst recht durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 der Fall, das aus dem Grundgesetz ein sehr weitgehendes Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben ableitet.

KNA: Was bedeutet diese Entwicklung für den Caritasverband?

Kostka: Auch die Caritas muss sich mit den Konsequenzen dieses Urteils auseinandersetzen und die Menschen ernst nehmen, die sich darauf berufen. Wir müssen mit ihnen ins Gespräch kommen über die Gründe ihres Wunsches und darüber, wie wir sie begleiten und unterstützen können, damit sie diesen Weg nicht wählen müssen.

KNA: Wenn jemand trotz aller angebotenen Hilfen zu einem Suizid entschlossen ist, wie weit kann die Caritas dann darauf eingehen, und wo sind die Grenzen?

Kostka: Aus meiner Sicht ist ausgeschlossen, dass eine Einrichtung oder Mitarbeitende der Caritas aktiv eine Beihilfe zur Selbsttötung anbietet oder Sterbehilfeorganisationen erlaubt, in Häusern der Caritas für sich zu werben. Es könnte aber sein, dass wir einen Menschen, der sein Leben beenden will, auf seinen Wunsch hin seelsorglich begleiten, ohne selber aktiv am Suizid mitzuwirken. Auf jeden Fall müssen wir uns damit auseinandersetzen, was das in unterschiedlichen Situationen praktisch bedeutet. Diese Fragen dürfen kein Tabu sein.

KNA: Was ist, wenn jemand, der in einem Pflegeheim oder Hospiz der Caritas lebt, dort einen begleiteten Suizid will?

Kostka: Wenn jemand dort lebt, kann er jeden Besuch empfangen, den er will. Das können wir nicht unterbinden, weil es ein Recht auf Privatheit gibt. Dann kann es auch sein, dass der sterbewillige Mensch in seinen letzten Momenten einen Seelsorger an seiner Seite will. Im übrigen ist es nicht nur ein Thema in der Pflege, weil auch junge und gesunde Menschen manchmal so einen Todeswunsch äußern. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts lässt einen begleiteten Suizid auch in solchen Fällen zu.

KNA: Inwieweit hören Sie solche Fragen aus Einrichtungen und Diensten der Caritas?

Kostka: Auch wenn die Corona-Pandemie derzeit den Alltag prägt, bewegen sie unserer hauptamtlichen, aber auch ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir müssen als Kirche eine offene und angstfreie Debatte darüber zulassen, auch wenn wir eine klare Haltung zur Suizidbeihilfe haben.

KNA: Wird dieses Thema auch auf der Leitungsebene der Caritas grundsätzlich diskutiert?

Kostka: Die Debatte läuft bereits, und es wächst die Erkenntnis, dass es kein reines Pflege- oder Hospizthema ist, sondern auch andere Arbeitsfelder etwa in der allgemeinen Sozialberatung betrifft. Es hängt nun davon ab, welche gesetzlichen Regelungen zur Suizidbeihilfe nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts kommen werden. Der Caritasverband beteiligt sich auch an dieser Diskussion.

Das Interview führte Gregor Krumpholz.


Ulrike Kostka / © Maurice Weiss (Caritasverband für das Erzbistum Berlin)
Quelle:
KNA