Kardinal Marx schaut auf das Jahr 2019

"Wir sind nicht das Kabinett des Papstes"

Auch im Jahr 2019 warten auf die katholische Kirche viele Herausforderungen. Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, wagt einen Ausblick vom Missbrauchs-Sondergipfel bis zur Amazonas-Synode.

Reinhard Kardinal Marx  / © Harald Oppitz (KNA)
Reinhard Kardinal Marx / © Harald Oppitz ( KNA )

KNA: Papst Franziskus hat Ende Februar zum Missbrauchs-Sondergipfel geladen. Welche Fortschritte erhoffen Sie sich?

Reinhard Kardinal Marx (Erzbischof von München-Freising und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz): Bei diesem weltweiten Problem gibt es regional sehr unterschiedliche Bewusstseinsstände: Manche Ortskirchen haben noch kaum eine Diskussion geführt, manche sind mittendrin, andere haben schon Maßnahmen in die Wege geleitet. Papst und Kurie können nicht die Probleme der ganzen Weltkirche lösen. Aber wenn in Rom die Vorsitzenden sämtlicher nationaler Bischofskonferenzen zusammenkommen, erhoffe ich mir die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Wir müssen öffentlich deutlich machen: Gemeinsam gehen wir das Problem des sexuellen und auch geistlichen Missbrauchs in der Kirche an. Dabei wird es wichtig sein, dass die Bischofskonferenzen, die sich schon lange mit dem Thema befassen, ihre Erfahrungen in die Diskussion einbringen. Das werde ich selbst auch tun.

KNA: Noch vor dem Treffen sollen nach dem Wunsch des Papstes alle Teilnehmer persönlich mit Missbrauchsopfern sprechen. Haben Sie diese Hausaufgabe erledigt?

Marx: Ich habe schon 2010 mit Betroffenen gesprochen, mit einzelnen bin ich weiter in Kontakt. Es ist wichtig, sich den persönlichen Lebensgeschichten zu stellen und zu versuchen, die Perspektive dieser Menschen einzunehmen.

KNA: Zur Kurienreform: In Kürze wird der Kardinalsrat, dem Sie angehören, seine Vorschläge vorlegen. Worauf kommt es Ihnen an?

Marx: Wir haben sehr lange diskutiert, vielleicht zu lange. Ich glaube, wir werden einen neuen Impuls setzen, aber entscheiden muss letztlich der Papst. Die Frage ist ja: Wozu ist die Kurie überhaupt da? Dem Papst bei der Wahrnehmung seines weltweiten Dienstes zu helfen, aber auch der ganzen Kirche, und zwar nicht nur als oberste Kontrollinstanz. Diese Dienstleistungsfunktion werden wir herausstellen. Wobei Strukturen nur das eine sind. Man braucht auch Personen, die das umsetzen. Das aber ist dann nicht mehr unsere Aufgabe, wir sind nicht das Kabinett des Papstes, sondern ein Beratungsorgan.

KNA: Aus K9 ist K6 geworden. Läuft Ihre Zeit als Papstberater ab?

Marx: Ich habe den Eindruck, dass die Gruppe, die der Papst viermal im Jahr einberuft, ihm gut tut. Er ist ja fast immer bei allen Sitzungen dabei. Zunächst dachte ich, vielleicht ernennt er neue Mitglieder. Das ist nicht ausgeschlossen, aber er nimmt sich jetzt Zeit. Auch in kleinerer Besetzung haben wir nicht schlechter gearbeitet. Auch als Koordinator des Wirtschaftsrates bleibt für mich noch einiges zu tun. Auch in anderen Fragen wollte Franziskus unsere Meinung wissen. In unserem Entwurf wird das Gremium jedenfalls erwähnt. Der Papst hat es selbst in der Hand, wie er das am Ende ausfüllt.

KNA: Ende Mai wählen die Europäer ein neues Parlament. Wissen Sie ein Rezept gegen das befürchtete Erstarken nationalistischer Kräfte?

Marx: Das gibt es so einfach nicht, das ist eine weltweite Bewegung mit vielen Ursachen, die sich nicht leicht beheben lassen. Es braucht eine positive Vision. Der Aufbau einer europäischen Demokratie ist ein großes, schwieriges Projekt. Man muss die Kräfte stärken, die sich dafür einsetzen. Ein Auseinanderfallen der Union in Einzelinteressen hat keine Zukunft. Nationalismus ist rückwärtsgewandt und gefährlich und hat ja Europa in der Vergangenheit zu einem Kontinent der Krieg gemacht. Deshalb erhoffe ich mir von der Wahl ein starkes Zeichen in die Öffentlichkeit, damit das Friedensprojekt Europa erfolgreich fortgeführt wird.

KNA: Das Thema Finanztransparenz treibt die Kirche in Deutschland weiter um. Werden sich die Vorschriften des Handelsgesetzbuches für große Kapitalgesellschaften als der von allen 27 Bistümern anerkannte Bilanzierungsstandard durchsetzen?

Marx: Als Vorsitzender der Bischofskonferenz kann ich nichts anordnen. In den zurückliegenden Jahren ist daran viel gearbeitet worden. Ich glaube, in die Diskussion ist gerade auch 2018 Schwung hineingekommen. Die überwältigende Mehrheit der Diözesen hat dieses Ziel akzeptiert und umgesetzt. Und jene, die sagen, wir müssen das anders machen, weil wir eine besondere Tradition haben, müssen das begründen und aufzeigen, dass auch ihr Weg zu mehr Transparenz führt. Der Weg ist jedenfalls unumkehrbar. Das war ein erfolgreicher Lernprozess.

KNA: Von vielen Erwartungen begleitet wird die Amazonas-Synode im Herbst. Fällt dort der Zölibat?

Marx: Ich habe nicht den Eindruck, dass die Versammlung deshalb einberufen wurde. Die Synode wird zunächst einmal ein sozialethisches und politisches Statement setzen, das ich sehr wichtig finde: Das Evangelium ist keine weltlose Botschaft, sondern will die Welt verändern. Der Papst will am Beispiel des Amazonasgebietes den großen Wurf seiner Enzyklika "Laudato si" deutlich machen: Es geht nicht um ein isoliertes Umweltproblem, sondern eine neue, ganzheitliche Sicht auf globale Verantwortung. Klimatisch ist die Region die Lunge unseres Planeten, da kann man nicht sagen, das ist unser Land, und was daraus für die anderen wird, ist nicht mein Problem, wie der neue brasilianische Präsident das offenbar meint. Im Grunde geht es um eine neue Fortschrittsidee, wie der Papst in "Laudato si" sagt. Und was die theologischen und pastoralen Fragen angeht, dürfen wir weiter gespannt sein.

KNA: Zurück in Ihr Bistum. Zum Jahresende wollen Sie einen neuen Verwaltungschef für Ihr Ordinariat gefunden haben, der erstmals kein Priester sein soll. Welche Eigenschaften muss die gesuchte Person mitbringen?

Marx: Wir arbeiten noch an der Stellenbeschreibung. Klar ist aber, dass für die Leitung einer so großen Behörde Verwaltungserfahrung erforderlich ist, dass man juristische Kenntnisse haben muss sowie die Fähigkeit, Menschen zusammenzuführen und zu delegieren. Da muss sicher eine Frau oder ein Mann mit Erfahrung ran. Ausgangspunkt unserer Diskussion war, dass mein Generalvikar schon vor Jahren gesagt hat, 80 Prozent seiner Tätigkeit könnte auch oder vielleicht sogar besser ein Laie machen. Dann finde ich es richtig, das auch so umzusetzen. So können wir ein neues Miteinander von Priestern und Laien in der Verantwortung für die Leitung des Bistums sichtbar machen.

Das Interview führte Christoph Renzikowski.

 

Quelle:
KNA