Deutschlands Bischöfe auf der Suche nach Orientierung

"Viele Menschen glauben uns nicht mehr"

Die Tagesordnung ihrer Herbstvollversammlung ist nur noch Makulatur. Die katholischen Bischöfe werden in dieser Woche in Fulda vor allem über das Thema Missbrauch sprechen. Es geht auch um ihre eigene Verantwortung.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
Kardinal Reinhard Marx (r.), Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, gibt zu Beginn der Herbst-Vollversammlung ein Statement ab  / © Arne Dedert (dpa)
Kardinal Reinhard Marx (r.), Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, gibt zu Beginn der Herbst-Vollversammlung ein Statement ab / © Arne Dedert ( dpa )

Der langjährige Bischof von Fulda muss nicht mehr mit diskutieren und entscheiden. Heinz Josef Algermissen, von 2001 bis 2018 an der Spitze des traditionsreichen Bistums mit dem Grab des heiligen Bonifatius, ist im Ruhestand. Am Vorabend der Herbstvollversammlung der Bischofskonferenz, die diese Woche viele Schlagzeilen bestimmt, konnte er noch einmal eine feierliche Messe im barocken Dom zelebrieren. Mit exzellent gesungenem "Sanctus", Orgelgebraus, Weihrauch, Fahnenträgern und allem, was dazu gehört.

Kardinal Reinhard Marx: "Viele Menschen glauben uns nicht mehr"

Und doch wollte keine Feierstimmung aufkommen. Der Jubilar sprach von "dunklen" Phasen im Bischofsamt, aus denen allein der Herr wieder herausziehen könne. Und der vor anstehenden Wahlen gerade selbst in schwerem Fahrwasser segelnde hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sprach aus, was viele dachten: Kirche und Staat durchleben unruhige Zeiten! Da sei es wichtig, dass jemand Orientierung geben könne - so wie es Algermissen bei Themen wie Lebensschutz oder Krieg und Frieden getan habe. 

Davon, anderen Menschen Orientierung geben zu können, scheinen die Bischöfe derzeit weit entfernt. Wie dramatisch die Lage ist, bringt der Konferenzvorsitzende, Kardinal Reinhard Marx, am Montag in Fulda auf den Punkt: "Viele Menschen glauben uns nicht mehr." (siehe Video: "Werden Bischöfe nun an einem Strang ziehen?)

Fakten und Zahlen

Und so suchen die Bischöfe erst einmal Orientierung in Fakten und Zahlen. In Fulda haben sie erstmals seit Menschengedenken ihre vorab festgesetzte Tagesordnung komplett umgekrempelt. Statt in einem theologischen Studientag über die "Gottesfrage in der heutigen Zeit" zu diskutieren, wurde viel Zeit freigeräumt, um über die MHG-Studie zu sprechen, die im Auftrag der Bischöfe Art und Umfang des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen durch Geistliche beschreiben soll.

Das von Forschern der Unis Mannheim, Heidelberg und Göttingen in vier Jahren gesammelte und ausgewertete Datenmaterial wurde vorab an einige Medien durchgestochen. Die erste Welle des Erschreckens und Schämens ist vorbei, nun kommt ein zweiter Blick. Die meisten Bischöfe haben inzwischen das Material sichten können. "Wir wollen hinhören, verstehen und Konsequenzen ziehen", erklärte Marx in Fulda. Mit Blick auf die weltweite Krise sprach er von "einem Wendepunkt für die Kirche".

Wie steht es um Vertuschung und Versetzung der Täter?

Zwei neue Fragen rücken in den Vordergrund: Wie steht es um die Verantwortung und Beteiligung von Bischöfen - an Taten selbst und vor allem an deren Vertuschung, insbesondere durch Versetzung der Täter und Manipulation der Akten? Und die zweite, nicht weniger beunruhigende: Sind die jetzt bekannt gewordenen Fallzahlen nur die Spitze des Eisbergs? Etwa weil Akten fehlen und sich zahlreiche Betroffene nicht gemeldet haben. Oder aber führen sie im Gegenteil zu einer Überzeichnung, weil in der Studie echte Täter und bloße Beschuldigte in einen Topf geworfen werden?

Vor Beginn des Bischofstreffens war die Verwirrung groß. Es war nicht einmal klar, aus welchem Zeitraum und aus welchen Bistümern die genannte Zahl von 1.670 Beschuldigten nun wirklich stammt: Ist die Grundlage ein Zeitraum von rund 100 Jahren, der in den kirchlichen Akten von 1946 bis 2014 in allen 27 heute bestehenden Bistümern erfasst wurde? Oder ist die Zahl auf eine umfassende Stichprobe in zehn Bistümern zurückzuführen, die als repräsentativ ausgewählt wurden, so dass von mehr Beschuldigten ausgegangen werden müsste? Hinzu kommt ohnehin noch das "Dunkelfeld", das von manchen Experten auf ein Vielfaches der erfassten Beschuldigten geschätzt wird.

Alle Akten wurden anonymisiert und indirekt erfasst

Zur Klärung der drängenden Frage, welche kirchlichen Vorgesetzten ihrer Verantwortung nicht nachkamen oder sogar durch Versetzung und Vertuschung neue Straftaten förderten, kann die Studie schon von ihrer Anlage her wenig beitragen: Alle Akten wurden anonymisiert und indirekt erfasst, sie waren den Forschern nicht unmittelbar zugänglich. Wer was wo zu verantworten hat - das war nicht die Aufgabenstellung der Studie. Umso drängender steht die Frage im Raum, wann heutige oder ehemalige Bischöfe öffentlich und fallgenau Verantwortung für eigene Fehler im Umgang mit dem Missbrauch übernehmen.


Quelle:
KNA
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