Deutsche Bischöfe stehen bei Missbrauchs-Aufarbeitung am Anfang

Von den USA lernen?

Wenn die deutschen Bischöfe über den Umgang mit dem Missbrauchsskandal beraten, werden sie sich daran erinnern, was sie vor acht Jahren in der Zeitung lasen. Damals mussten sich ihre US-amerikanischen Amtsbrüder einem Missbrauchsskandal stellen, der an Breite, Tiefe und finanzieller Auswirkung bislang einmalig war.

 (DR)

Das Epizentrum des Bebens, das wie ein Tsunami über Bistümer und Orden hereinbrach, lag damals in Boston, wo der Priester John Geoghan mehr als 100 Knaben unsittlich berührt und mindestens einen vergewaltigt hatte. Dennoch war er fünf Mal von einer Pfarrei in die nächste versetzt worden. Wenig später erlangte, ebenfalls in Boston, der kinderschändende Priester Paul Shanley traurige Berühmtheit.

Im Mittelpunkt der Kritik stand zunächst der Bostoner Kardinal Bernard Law, der die Versetzungen über Jahre gedeckt hatte. Doch die Auswirkungen reichten nach einer Flut von Medienberichten bald bis nach Südkalifornien, und sie trieben wegen des amerikanischen Schadensersatzrechts mehrere Diözesen in den Bankrott. Da war es wenig trostreich, dass später auch protestantische Kirchen Millionensummen zahlen mussten, als Geistlichen aus ihren Reihen ähnliche Vergehen nachgewiesen wurden. Es half auch nichts, daran zu erinnern, dass Missbrauch durch Familienväter weit häufiger war als der durch Priester. Das Glaubwürdigkeitsproblem blieb an jener Kirche hängen, die sich mit Keuschheitsgebot und Zölibatsgelübde in Sachen Sexualität stets besonders exponiert hatte.

Erstaunlich ist, dass es den amerikanischen Bischöfen gelang, diese Flut nicht nur zu überleben, sondern die Glaubwürdigkeit ihrer Kirche wieder weitgehend zurückzugewinnen. Drei Faktoren waren entscheidend für die Wende. Der erste war ein personeller: Auf dem Höhepunkt der öffentliche Debatte übernahm ein Bischof den Vorsitz der Konferenz, der den Neuanfang glaubhaft verkörperte. Wilton Gregory war damals 54 Jahre jung und der erste afroamerikanische Konferenzvorsitzende. Vor allem gab es in seiner Karriere keine «dunklen Jahrzehnte», die viele ältere Bischöfe durch Versetzungen straffälliger Priester angreifbar gemacht hatten. Gregory machte sich mit Elan, Aufrichtigkeit und der nötigen Emotionalität daran, die Vorwürfe der Vergangenheit aufzuklären, Schuld - auch Schuld von Bischöfen durch Versagen - anzuerkennen und eine Strategie zu entwickeln, wie solche Ereignisse künftig rigoros eingegrenzt werden sollten.

Damit hatte er auch den Schritt gemacht, der notwendig war, um aus der Defensive herauszukommen: Die neue, von ihm geforderte «Null-Toleranz-Strategie» lenkte die Debatte weg von den alten Skandalen hin zu einer Zukunftsperspektive. Da die «Null-Toleranz» mit der alten Kirchendisziplin brach, die noch darauf setzte, dem reuigen Täter eine Bewährungschance zu geben, wurde diese Strategie zu einem Konfliktthema mit Rom. Und als die amerikanischen Bischöfe ihre strengen Richtlinien dort durchsetzten, war das ein Achtungserfolg bei der kritischen Öffentlichkeit daheim. Seither reicht in den USA ein einmaliger unsittlicher Kontakt mit Minderjährigen aus, um einen Priester auf Lebenszeit seines Amtes zu entheben. Hinzu kommen strenge Vorschriften für den Umgang mit Minderjährigen, die unbeobachtete Einzelbegegnungen fast unmöglich machen.

Das alles hätte aber nicht ausgereicht, wäre da nicht ein drittes Element hinzugekommen: Die Schuldigen haben bezahlt, und zwar jeder auf seine Weise. So entstand, trotz der strafrechtlichen Verjährung der meisten Fälle, der Eindruck, dass Sühne geleistet wurde. Viele Bistümer haben bezahlt - im wahrsten Sinne des Wortes: Ihr zu laxer Umgang mit den Tätern führte sie in den Bankrott, weil sie millionenschwere Wiedergutmachungen leisten mussten. Kardinal Law zahlte mit dem Ende einer steilen kirchlichen Karriere und legte sein Bischofsamt nieder. Den höchsten Preis freilich bezahlte Geoghan. Er wurde nach seiner Verurteilung von seinen Wärtern gefoltert und 2003 von einem Mithäftling ermordet.