Forscher suchen Identität eines mittelalterlichen Dolmetschers

Wer steckt bloß hinter dem "Österreichischen Bibelübersetzer"?

Reformationsjahr hin oder her: Schon 200 Jahre vor Luther hat jemand große Teile der Bibel auf Deutsch vorgelegt. Wissenschaftler in Augsburg forschen zu dem Unbekannten.

Autor/in:
Christopher Beschnitt
Gemeinsames Lesen in der Bibel / © Harald Oppitz (KNA)
Gemeinsames Lesen in der Bibel / © Harald Oppitz ( KNA )

Dies dürfte eine der unbekannteren Jesus-Legenden sein: Als die Heilige Familie vor dem Kindermord des Herodes nach Ägypten flieht, wird sie von Räubern entführt. In der Gefangenschaft wird Jesus gewaschen. Der Schaum seines Bades erweist sich später, als einer der Räuber schwer verwundet wird, als heilsam. Der Gauner bekehrt sich... - Von diesem Wunder weiß heute wohl kaum jemand, und das, obwohl es in der Bibel steht. Allerdings nur in einer speziellen Version: der des "Österreichischen Bibelübersetzers".

Ins Deutsche übertragen

Hinter diesem Hilfsnamen steckt ein Mann, der um 1330 weite Teile der Heiligen Schrift ins Deutsche übertragen, kommentiert und ausgelegt hat - so umfänglich wie nie zuvor und 200 Jahre vor Martin Luther.

Anders als dieser ist der Anonymus, der wohl im mittelalterlichen Herzogtum Österreich gelebt hat, nicht bekannt. Ein umfangreiches Forschungsprojekt könnte das ändern: Bis 2027 zahlt die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften dafür 4,5 Millionen Euro. Organisiert wird das Vorhaben von der Bayerischen und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, ausgeführt wird es hauptverantwortlich durch ein Forscherteam aus Augsburg.

"Er wollte die Bibel für die Laien zugänglich machen"

An der dortigen Uni leitet Freimut Löser (63) die Recherchen zu dem Unbekannten, den er im Interview gern mal "den Burschen" nennt. Dass der Germanist sein Forschungsobjekt so salopp tituliert, passt gut zu dessen Vorgehen vor rund 700 Jahren: "Er wollte die Bibel für die Laien zugänglich machen", sagt Löser. "Dazu orientierte er sich an der Sprache des Volkes. Um dieses bestmöglich zu erreichen, hat er die echten Bibeltexte einfach um spannende Geschichten ergänzt, wenn auch sauber voneinander getrennt."

Durch Legenden wie die Räubergeschichte hoffte der Unbekannte dann wohl also, seine Zeitgenossen fromm halten zu können. Dadurch habe er sie auch vor dem damals stark verbreiteten Aberglauben und als Kirchenvolk bewahren wollen, fügt Löser hinzu. Zudem habe der Unbekannte Traktate gegen Ketzer und Juden geschrieben.

Angriffen orthodoxer Gegner

Darin gleicht er seinem späteren "Nachfolger" Luther. Dieser aber hat die Bibel komplett und als Erster aus den Ursprachen Hebräisch und Griechisch ins Deutsche übertragen, wie der Professor ergänzt. "Unser Mann nahm eine lateinische Grundlage." Wie Luther habe auch er die Kirche durch Kritik an unsäglichen Entwicklungen in ihrer Existenz schützen, nicht stürzen wollen.

Allein: "Er wurde dafür von Ultrakonservativen heftig attackiert", sagt Löser. "Schließlich war die Bibel-Lektüre im 14. Jahrhundert Kirchenleuten vorbehalten." Der Übersetzer berichte von Angriffen orthodoxer Gegner. Konnte er seinen Namen deshalb nicht öffentlich nennen?

"Sprachlich sehr elegant"

"Nein", antwortet Löser. "Der Anonymus hat wohl auf seine Namensnennung verzichtet, da er sich als bloßes Sprachrohr zwischen Gott und den Menschen verstand." Die Angriffe klerikaler Kritiker habe er locker abwehren können. Der Grund: "Ein mächtiger Fürsprecher, vielleicht gar Kaiser Ludwig der Bayer." Dieser wäre reich genug gewesen, um das Hunderte Seiten starke Werk des Anonymus zu finanzieren.

Die Investition hat sich offenbar gelohnt: "Das Ergebnis der deutschen Übersetzung ist sprachlich sehr elegant", lobt Löser. Dies deute darauf hin, dass der Unbekannte eine ordentliche Bildung genossen habe - womöglich als Mitglied eines franziskanischen Laienordens, dafür gebe es Indizien.

Historische Vokabeln erläuternd

Der Professor ist nicht nur mit der Identität des Übersetzers beschäftigt, er befasst sich auch mit der Edition seines Werkes. "Wir möchten die Schriften - die ja alle Abschriften von Dritten sind, Originale sind nicht bekannt - in Büchern und im Internet kommentiert präsentieren." Dazu sei es etwa nötig, historische Vokabeln zu erläutern. "Oder wissen Sie, was 'pullwechs' heißt? So hat man Nägel bezeichnet, wenn sie stumpf waren."

Ob Löser denkt, dass das Rätsel um die Identität des Bibelübersetzers je gelöst wird? "Gerade in Osteuropa gibt's viele unerforschte Archive ... Gut möglich, dass da der entscheidende Hinweis noch auf wundersame Weise auftaucht." Wundersam - das gefiele dem Anonymus sicher gut.


Freimut Löser, Germanistikprofessor an der Universität Augsburg / © Christopher Beschnitt (KNA)
Freimut Löser, Germanistikprofessor an der Universität Augsburg / © Christopher Beschnitt ( KNA )
Quelle:
KNA