Experte fürchtet längere Dauer des Streits in der Orthodoxie

"Eine Einigung wird immer schwieriger"

Eine schnelle Lösung des Streits in der orthodoxen Kirche ist nach Ansicht des Ostkirchenexperten Thomas Bremer nicht in Sicht. Die ökumenischen Partner könnten dazu kaum etwas beitragen und müssten die Entwicklungen abwarten.

 (DR)

KNA: In der Rhetorik der orthodoxen Kirchenführer ist mittlerweile die Rede von "Kriegserklärung" und "Sanktionen". Sind wir noch auf der Stufe des Kalten Krieges, oder ist inzwischen ein heißer Krieg ausgebrochen?

Thomas Bremer (Münsteraner Ostkirchenexperten): Die Metaphern aus dem Kriegswesen sind vielleicht nicht so gut geeignet, um die aktuellen Beziehungen zwischen den orthodoxen Kirchen zu beschreiben. Doch handelt es sich ohne Zweifel um eine schwerwiegende Krise zwischen den beiden wohl bedeutendsten Patriarchaten der Orthodoxie. In den Sommermonaten war abzusehen, dass sich die Situation verschärfen würde, und in den vergangenen beiden Wochen ist die Lage dann eskaliert durch die Entsendung der Exarchen seitens des Ökumenischen Patriarchats und den darauf folgenden Beschluss des Synods der russisch-orthodoxen Kirche, die Beziehungen mit Konstantinopel zu suspendieren. Dieser Beschluss bedeutet zwar noch keinen völligen Abbruch, aber doch eine sehr weitgehende Unterbrechung der kirchlichen Gemeinschaft.

KNA: Sehen Sie für die Ukraine eine Möglichkeit der Einigung?

Bremer: Das sieht momentan sehr schwierig aus. Die Positionen der beiden beteiligten Kirchen sind kaum miteinander zu vereinbaren. Und wenn einmal Akte gesetzt sind, wie es jetzt eben schon geschehen ist, dann wird es immer schwieriger, zu einer Einigung zu gelangen. Es ist deshalb zu befürchten, dass die Orthodoxie in der Ukraine auf längere Zeit hin gespalten bleibt, falls nicht eine der Seiten beigibt - was ich zum jetzigen Zeitpunkt für wenig wahrscheinlich halte.

KNA: Hinter dem Ukraine-Streit stehen grundlegende Machtkämpfe und Kompetenzstreitigkeiten innerhalb der Orthodoxie. Wie könnten sie überwunden werden?

Bremer: Die orthodoxen Kirchen müssten sich auf ein Verfahren einigen, wie solche Streitigkeiten gelöst werden. Dafür hat es bereits viele Anläufe gegeben, die bislang aber erfolglos geblieben sind. Vor allem wäre es wichtig, die Kompetenzen der autokephalen Kirchen außerhalb ihrer Territorien sowie den Umfang der Vorrangstellung des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel zu klären. Das beinhaltet auch die Frage, wer für die Verleihung der Autokephalie einer Kirche zuständig ist - die "Mutterkirche" oder das Ökumenische Patriarchat. Doch die seit Jahrzehnten geführten Verhandlungen zwischen den autokephalen Kirchen haben zu keiner Lösung geführt. Die jetzige Lage macht es noch schwieriger, hier bald zu einer Einigung zu kommen.

KNA: Aktuell stehen die Zeichen eher auf Eskalation. Ist die Einheit der Orthodoxie noch zu retten?

Bremer: Wenn die beiden von Konstantinopel in die Ukraine entsandten Exarchen tatsächlich eine Bischofsversammlung durchführen und die Autokephalie verkünden, so dass eine zur kanonischen Kirche parallele Kirchenorganisation in der Ukraine entsteht, wird Moskau wohl seine Ankündigungen wahrmachen und die Beziehungen zu Konstantinopel völlig abbrechen. Dann wird es wichtig sein, wie sich die anderen orthodoxen Kirchen verhalten - ob sie sich also für eine Seite entscheiden oder versuchen, mit beiden Konfliktparteien in Gemeinschaft zu bleiben.

KNA: Welche Auswirkungen hat der Streit für die Ökumene?

Bremer: Die russische Kirche hat angekündigt, nicht mehr an den ökumenischen Dialogen teilzunehmen, deren Dialogkommissionen von Vertretern Konstantinopels geleitet werden. Diese Kommissionen vertreten dann nicht mehr die Gesamtorthodoxie; und es ist noch nicht abzusehen, wie sie weiterarbeiten werden. Das betrifft auch den offiziellen theologischen Dialog zwischen der katholischen Kirche und der Gesamtorthodoxie. Die ökumenischen Partnerkirchen der Orthodoxie haben zum jetzigen Zeitpunkt wohl nicht viele andere Möglichkeiten, als abzuwarten und zu hoffen, dass sich der Konflikt bald klärt. Sie selbst können zu einer Lösung kaum beitragen.

Das Interview führte Norbert Zonker.

 

Quelle:
KNA
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