Fragen an den evangelischen Pfarrer in Rom

"Ein kleines ökumenisches Wunder in Rom"

Nirgends trifft Ökumene so sehr auf die Realität wie rund um den Vatikan. Es habe sich im Jahr 2017 eine neue Offenheit gefunden - findet der Pfarrer der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Rom.

Pfarrer Jens-Martin Kruse (deutschsprachige evangelische Gemeinde in Rom) / © privat (DR)
Pfarrer Jens-Martin Kruse (deutschsprachige evangelische Gemeinde in Rom) / © privat ( DR )

domradio.de: Wenn Sie auf das vergangene Jahr zurückschauen, welche Momente haben das Reformationsjahr für ihre Gemeinde geprägt?

Jens-Martin Kruse (Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde Rom): Ganz entscheidend war auch für uns der ökumenische Gottesdienst, den Papst Franziskus vor einem Jahr im schwedischen Lund gefeiert hat. Der hat in Italien eine sehr große Aufmerksamkeit bekommen, und uns eine Welle beschwert, auf der wir sozusagen das ganze Jahr mitgeschwommen sind. Auf einmal gab es im katholischen Italien ganz viel Interesse an Martin Luther, der Reformation, der evangelischen Kirche. Das, obwohl wir als Protestanten hier eine verschwindend geringe Minderheit sind. Da gab es viele schöne ökumenischen Begegnungen in diesem Jahr, in den Pfarreien, an den Universitäten, in den Gemeinden. Es gab Konzerte, zum Beispiel nach dem Papstgottesdienst in Lund, es gab einen ökumenischen Gottesdienst zum Himmelfahrtstag, Tagungen, Vortragsreihen, Programm für Kinder. Es war ein unglaublich reiches Jahr, wofür wir sehr dankbar sind. Wie ein Füllhorn hat sich das ganze Jahr über uns ergossen. Wir sind einfach nur erfüllt.

domradio.de: Sie sind als evangelische Gemeinde auch örtlich ganz nah am Vatikan. Gab es denn da im Jahr 2017 auch ein Umdenken von katholischer Seite?

Kruse: Das, glaube ich, ist die entscheidende ökumenische Frucht dieses Jahres. Angestoßen durch den Besuch von Papst Franziskus in unserer Kirche am 15. November 2015. Damals hat der Papst in seiner Ansprache ‚seine‘ Kirche aufgefordert, ganz neu über Martin Luther nachzudenken, alte Vorurteile zu überwinden. Genau das ist umgesetzt worden. Die katholische Kirche hat einen Riesenschritt gemacht in diesem Jahr, für den wir sehr dankbar sein dürfen, indem sie ein ganz neues, und jetzt sehr differenziertes Verhältnis zu Martin Luther gefunden hat. Auf einen Satz zusammengefasst: Weg vom Ketzer Martin Luther, hin zum gemeinsamen Lehrer im Glauben. Das Wichtige: Das betrifft inzwischen nicht mehr nur vereinzelt ökumenisch wohlgesonnene Theologen, sondern durch Papst Franziskus und die Kurie sehr viele Kardinäle und Bischöfe, die das mittragen. Das kann man, glaube ich, schon als ein kleines ökumenisches Wunder in Rom bezeichnen, mit Auswirkungen auf die ganze Welt.

domradio.de: Haben Sie auch persönlich ökumenisch etwas dazugelernt in den vergangenen zwölf Monaten?

Kruse: Ich bin sehr reich beschenkt worden durch die Luther-Interpretation römisch-katholischer Freunde. Da hat sich mir auch noch manches neu erschlossen. In der Art und Weise, wie die 95 Thesen in Italien von römisch-katholischen Theologen interpretiert worden sind, wie mit den historischen Zusammenhängen umgegangen worden ist. Da kann man viel lernen und für mich ist das eine unglaubliche Bereicherung. Wir müssen nun nicht mehr über Luther streiten, sondern können uns gegenseitig bereichern, mit dem, was jeder einzelne an unterschiedlichen Akzenten setzt. Und wo er sagt 'Hier kann man von Luther noch lernen‘. Das kann man nur jedem empfehlen, hier nach Italien zu kommen und Luther neu kennenzulernen.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Pfr. Dr. Jens-Martin Kruse / © Bayerischer Rundfunk
Pfr. Dr. Jens-Martin Kruse / © Bayerischer Rundfunk
Quelle:
DR