Schulbischof über den Unterricht für Behinderte

Inklusion? Ja, bitte!

Deutschland will die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention umsetzen und gehandicapte Menschen stärker in die Alltagswelt integrieren. Gerade im Schulbereich soll die sogenannte Inklusion Wirklichkeit werden. Die katholische Kirche in Deutschland unterstützt das Anliegen, erklärt Schulbischof Hans-Josef Becker.

 (DR)

KNA: Herr Erzbischof Becker, Deutschland hat sich dazu verpflichtet, die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen. Danach sollen behinderte Kinder das Recht erhalten, an allgemeinen Schulen unterrichtet zu werden. Wie steht die Kirche, die ja Trägerin von Förderschulen wie von allgemeinen Schulen ist, grundsätzlich zur sogenannten Inklusion?

Becker: Das zentrale Anliegen der gesamten UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen besteht ja darin, die volle Achtung der Menschenwürde von Menschen mit Behinderungen zu fördern und zu sichern. Die Konvention möchte betonen und sicherstellen, dass alle Menschenrechte uneingeschränkt für alle Menschen mit und ohne Behinderung in vollem Umfang gelten. Dieses Anliegen entspricht dem christlichen Menschenverständnis und findet die volle Unterstützung der Kirche. Wir teilen daher auch das Anliegen der Inklusion in der Schule, insofern damit gewährleistet werden soll, dass unser Schulsystem die Bildungschancen von Menschen mit Behinderungen in keiner Weise einschränkt.



KNA: Ist gemeinsamer Unterricht besser als die Unterrichtung behinderter Kinder in Förderschulen?

Becker: Gemeinsamer Unterricht an sich muss noch kein guter Unterricht sein. Genauso wenig muss sich der Besuch einer Förderschule immer nachteilig auf die Bildungskarriere eines jungen Menschen auswirken. Unsere Förderschulen haben in den vergangenen Jahrzehnten einen sehr hohen Standard an Kompetenz erworben, wissenschaftlich begleitet von einer ausdifferenzierten Sonderpädagogik. Für uns steht nicht das Schulsystem im Vordergrund, sondern es geht um das Menschenrecht auf Bildung. Wir müssen dafür sorgen, dass jeder junge Mensch die bestmöglichen Bildungschancen erhält.



KNA: Inwieweit werden sich die deutschen Bistümer an der Umsetzung der Inklusion beteiligen?

Becker: Ich bin mir sicher, dass die Bistümer und die Träger katholischer Schulen die anstehende Weiterentwicklung des Schulsystems aktiv mitgestalten werden. Die besondere Verantwortung für junge Menschen mit Behinderungen gehört immer schon zum Selbstverständnis katholischer Schulen. Wir haben deshalb ein hohes genuines Interesse an dem Thema.



KNA: Soll es trotz Inklusion weiterhin kirchliche Förderschulen für einzelne Bereiche oder für sämtliche Förderschwerpunkte geben?

Becker: Die Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern gehen hier weit auseinander, deshalb kann ich nur allgemein sprechen. Für uns ist die Qualität unserer Bildungsangebote das entscheidende Kriterium. Und da ich nicht davon ausgehe, dass wir kurzfristig für alle Förderbedarfe in unseren Regelschulen Angebote in gleicher oder besserer Qualität im Vergleich zu den Förderschulen bereitstellen können, gehe ich auch nicht davon aus, dass wir alle unsere Förderschulen in absehbarer Zeit schließen werden.



KNA: Viele Eltern fürchten, dass die Einbeziehung lernbehinderter Kinder an Regelschulen den Klassendurchschnitt dort nach unten ziehen könnte. Wie reagiert die Kirche als zweitgrößter Schulträger Deutschlands auf diese Ängste?

Becker: Solche Befürchtungen sind unbegründet - immer vorausgesetzt natürlich, die Qualität des Unterrichts stimmt. Und dazu gehört neben einer entsprechenden Qualifizierung aller Lehrkräfte auch die ausreichende Versorgung mit sonderpädagogisch qualifiziertem Personal und die Arbeit in multiprofessionellen Teams. Um Eltern mögliche Ängste zu nehmen, ist es wichtig, sie nicht nur zu informieren, sondern sie auch so weit wie möglich in die Weiterentwicklungsprozesse der Schulen einzubeziehen. Wir müssen die Eltern in ihrer primären Verantwortung für die Erziehung und Bildung ihrer Kinder ernst nehmen.



KNA: Müssen Eltern künftig wegen der Inklusion mehr Schulgeld für katholische Schulen zahlen?

Becker: Weniger als die Hälfte der gut 900 katholischen Schulen in freier Trägerschaft in Deutschland erhebt überhaupt ein Schulgeld. Das hängt mit den unterschiedlichen Rahmenbedingungen in den Bundesländern zusammen. Daran wird sich auch im Zuge der Inklusion nichts ändern. Ebenfalls glaube ich nicht, dass das Schulgeld dort, wo es erhoben werden muss, durch die Inklusion höher wird. Allerdings müssen die Bundesländer sicherstellen, dass die Aufwendungen, die für die Inklusion erforderlich sind, bei der staatlichen Refinanzierung entsprechend abgebildet werden. Inklusion in der Schule darf nicht zu einer Lastenverschiebung zuungunsten der kirchlichen Träger führen.



KNA: Es gibt auch den Vorschlag, Förderschulen für Kinder und Jugendliche aus allgemeinen Schulen zu öffnen. Ist das ein Weg für die Kirche?

Becker: Ja, das ist in der Tat ein Weg, auf den wir in unseren Empfehlungen an die Träger katholischer Schulen auch eigens hinweisen. Es gibt auch bereits erste katholische Schulen, die diesen Weg beschreiten.



Das Gespräch führte Andreas Otto.