Nah-Ost-Experte zu den Folgen des Bombenanschlags von Burgas

"Ein gewaltiger Schock"

Die israelische Regierung hat angekündigt, dass man mit den Verantwortlichen des Bombenanschlags in Bulgarien "die Rechnung begleichen" und ihnen einen "hohen Preis" abverlangen werde. Gemeint ist der Iran, der allerdings jegliche Verantwortung für den Mord an fünf Israelis am Mittwoch in Burgas abstreitet. Im domradio.de-Interview: Michael Mertes von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem.

 (DR)

domradio.de: Netanjahu hat neben dieser Feststellung der Urheber auch gleich noch eine Warnung hinterhergeschickt. Er sprach von heftigen Reaktionen des israelischen Staates. Wie hat die Öffentlichkeit in Israel auf diese Androhung reagiert?--
Michael Mertes: Für die israelische Öffentlichkeit ist das natürlich ein gewaltiger Schock, dazu muss man wissen, dass die Israelis ein sehr reisefreudiges Volk sind. Gut 80.000 Israelis reisen jedes Jahr an die bulgarische Schwarzmeerküste, sie reisen in die Türkei und in verschiedene europäische Länder, sie reisen nach Indien und Thailand. Und sie haben natürlich die Befürchtung, dass sie dort im Ausland auf einmal als "weiche Ziele" für Terrorakte missbraucht werden könnten. Insofern fühlt sich jeder Israeli auch persönlich sehr stark betroffen.



domradio.de: Dennoch sind die israelischen Verdächtigungen gegen den Iran als Drahtzieher und gegen die Hisbollah als ausführenden Arm nicht ganz aus der Luft gegriffen. Da ist ja eine Geschichte dahinter.--
Mertes: Genau, es gab ja schon in den vergangenen Monaten immer wieder Reisewarnungen des Regierungsbüros für Terrorabwehr. Diese Reisewarnungen enthielten ausdrücklich den Hinweis, dass die Hisbollah möglicherweise versuchen werde, im Ausland israelische Staatsbürger anzugreifen. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist, dass es auch eine Geschichte von Terrorattacken der Hisbollah gegen Israelis gibt. Ich erinnere hier nur an den "berühmten" Fall von 1994, als im Zentrum von Buenos Aires eine Bombe explodierte, die 86 Menschen tötete. Also das ist alles nicht neu. Und drittens ist natürlich auch die Ausführung des Attentats ein Hinweis darauf, wer dahintersteckt. Es handelt sich um ein Selbstmordattentat, das ist nun eine typisch radikal-islamische Form des Terrors.



domradio.de: Der Iran als Bedrohung des Staates Israel ist ein Dauerthema, das durch die festgefahrenen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm immer neue Nahrung erhält. Wie steht die israelische Bevölkerung zu Spekulationen, der israelische Staat plane einen Militärschlag gegen den Iran?--
Mertes: Es ist so, dass die Israelis in ihrer großen Mehrheit den Iran tatsächlich als eine tödliche Bedrohung für Israel ansehen. Es gibt ja auch seitens der iranischen Staatsführung eindeutige Aussagen darüber, dass man Israel von der Landkarte radieren möchte. Gleichzeitig gibt es aber auch eine klare Mehrheit der Israelis, die sagt: Wir können und wir wollen das nicht im Alleingang tun, sondern in Zusammenarbeit und enger Abstimmung mit unseren Verbündeten im Westen, insbesondere mit den Vereinigten Staaten.



domradio.de: Es gibt Beobachter, die sagen: Über einen Militärschlag gegen den Iran wird erst ernsthaft nachgedacht, wenn in den USA die Präsidentschaftswahlen gelaufen sind. Wie würden Sie denn die Regierung Netanjahu einschätzen? Ist es tatsächlich so, dass momentan noch die Verhandlungen laufen und es tatsächlich erst eine Änderung der aktiven Politik geben wird, wenn Obama möglicherweise wiedergewählt wird oder es einen neuen Präsidenten in den USA gibt?--
Mertes: Also die Diskussion, die wir hier in Israel hatten, bezog sich auf die Frage: Sollen wir einen Alleingang machen oder sollen wir es zusammen mit den anderen machen? Ich denke, dass sich hier bei allen Beteiligten gerade auch nach dem Rat der Fachleute die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass Israel es nicht allein machen kann und nicht allein machen sollte. Es kann es deshalb nicht allein machen, weil es die potentielle Nuklearfähigkeit des Iran nicht auf Dauer zerstören könnte. Sie haben aber völlig Recht mit dem Hinweis, dass diese Frage letzten Endes erst nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl spruchreich werden wird. Und das hängt wie gesagt eben damit zusammen, dass die Israelis sehr genau wissen, sie brauchen in der Frage des Iran Verbündete und es wäre keine gute Idee und vielleicht sogar kontraproduktiv, wenn sie es im Alleingang tun würden.  



domradio.de: Die Sicherheit des eigenen Bürgers ist eine der wichtigsten Möglichkeiten des Staates Israel überhaupt, sich selbst immer wieder zu verteidigen, und gehört als wichtiger Bestandteil der staatlichen Strategie dazu. Was kann denn ein Staat tun, wie kann ein Staat damit umgehen, wenn er seine Bürger im Ausland nicht ausreichend schützen kann und weiß, dass er im Ausland seine Bürger quasi schutzlos ausliefert?--
Mertes: Also es gibt eine sehr, sehr intensive Zusammenarbeit der israelischen Sicherheitsbehörden, der israelischen Geheimdienste mit ausländischen Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten, allerdings sind die Israelis nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte Realisten genug, um zu sagen, dass es keine absolute Sicherheit geben kann. In Israel selbst sind sie sehr sicher, aber wenn sie das Land verlassen, dann nimmt diese Sicherheit ab. Dazu muss man vielleicht auch noch sagen, dass, gerade mit Blick auf Bulgarien, es so ist, dass es z.B. in Deutschland für israelische Touristen bereits sehr stark ausgebaute Sicherheitsmaßnahmen gibt. In Bulgarien hat es das so nicht gegeben. Und die Folge dieses Anschlags wird sein, dass nun auch in Europa die Sicherheitsvorkehrungen für israelische Touristen verstärkt werden.



domradio.de: Blicken wir einmal auf eine Ereignis in Europa, das seine Schatten vorauswirft, bei dem es auch ganz viel um mögliche terroristische Bedrohungen geht. Aus der Geschichte kennen wir eine entsprechende Bedrohung für israelische Sportler. Die Rede ist von den Olympischen Spielen in London, die uns demnächst alle betreffen: Wie wird in Israel über dieses Ereignis gedacht oder auf dieses Ereignis geblickt? --
Mertes: Dieses Ereignis wird sozusagen überschattet durch die Erinnerung an die Ereignisse bei den Olympischen Spielen von München 1972, als 11 Mitglieder der israelischen Mannschaft von Palästinensern getötet wurden, und alle sind sich darüber im Klaren, dass für London die höchste Sicherheitsstufe gilt. Ich bin kein Geheimdienstexperte, aber ich nehme an, dass die Drähte zwischen Jerusalem und London in dieser Frage heiß laufen und dass die Briten, die ja nun auch eigene Erfahrungen haben in der Abwehr des Terrors, hier alles tun werden, um die Sicherheit der israelischen Olympiamannschaft zu gewährleisten.



Das Interview führte Stephanie Gebert.



Hintergrund

Der Anschlag auf israelische Touristen in Bulgarien ist offiziellen Angaben zufolge von einem Selbstmordattentäter begangen worden. Neben bulgarischen und israelischen Ermittlern sind auch US-Experten vor Ort. Der Attentäter trug einen gefälschten US-Führerschein bei sich.

Bei dem Anschlag auf eine israelische Reisegruppe am Flughafen von Burgas waren fünf Israelis, ein bulgarischer Busfahrer sowie der mutmaßliche Selbstmordattentäter getötet worden. Unter den israelischen Todesopfern ist Medienberichten zufolge eine schwangere Frau.



Hochrangige US-Regierungsbeamte haben einem Medienbericht zufolge die pro-iranische Hisbollah für den Anschlag verantwortlich gemacht. Der Attentäter sei ein Mitglied der bulgarischen Zelle der Hisbollah, einer mit der Führung in Teheran verbündeten Schiiten-Organisation im Libanon, berichtete die "New York Times" am Freitag.



Nach Aussage des Regierungsbeamten handelt es sich um eine Vergeltung für Attentate auf iranische Atomwissenschaftler, für die Iran israelische Agenten verantwortlich gemacht hatte.Die israelische Regierung ließ unterdessen wissen, dass man mit den Verantwortlichen "die Rechnung begleichen" und ihnen einen "hohen Preis" abverlangen werde. Israel will auch offiziell Beschwerde gegen Teheran beim UNO-Sicherheitsrat einlegen. Dieser bestritt jegliche Beteiligung an dem Attentat.