ver.di will kirchliches Arbeitsrecht auf den Prüfstand stellen

"Tarifverträge fallen nicht vom Himmel"

"Tarifverträge fallen nicht vom Himmel" heißt es bei ver.di. Beim nächsten Bundeskongress, der vom 17. bis 24. September in Leipzig stattfindet, will die Dienstleistungsgewerkschaft deshalb auch das eigenständige kirchliche Arbeitsrecht des "Dritten Weges" zum Thema machen.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

Am Donnerstag hat ver.di-Chef Frank Bsirske insbesondere die kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie scharf kritisiert. Der Zeitung "Die Welt" sagte er: "Diakonie und Caritas behaupten, sie hätten eigene Souveränitätsrechte, so dass ihre Beschäftigten niemals streiken dürften. Das ist vordemokratisch. Der Dritte Weg ist aus meiner Sicht ein Verfassungsbruch."



Die Caritas mit 507.000 und die Diakonie mit 480.000 Mitarbeitern sind die größten privaten Arbeitgeber in Deutschland. Dass sie über ein eigenständiges Arbeits- und Tarifrecht ohne Streiks und Gewerkschaftseinfluss verfügen, ist nicht nur Bsirske ein Dorn im Auge. Auch die Politik nimmt den Dritten Weg verstärkt unter die Lupe.



Nach einer parlamentarischen Anfrage der Grünen vom März hat Die Linke Mitte Mai einen Antrag in den Bundestag eingebracht, der mehr Rechte für kirchliche Beschäftigte fordert. Sie verlangt unter anderem ein Streikrecht und mehr Mitbestimmung. Von einem "Arbeitsrecht zweiter Klasse" und von "Beschäftigten zweiter Klasse" war die Rede.



Ähnlich wie die Grünen argumentiert die Linke, dass immer mehr kirchliche Unternehmen, etwa im Gesundheits- und Pflegebereich, Leiharbeiter einstellen und einzelne Bereiche in GmbHs ausgründen, so dass vielerorts die Küche oder die Wäscherei nicht mehr zur Dienstgemeinschaft gehört, sondern zur gewerblichen Wirtschaft, wo schlechter bezahlt wird. So entstünden Wettbewerbsvorteile gegenüber privaten und öffentlichen Konkurrenten, hieß es. Zugleich hätten die Mitarbeiter keinen gewerkschaftlichen Schutz.



Der Antrag der Linksfraktion traf zwar bei allen anderen Bundestagsfraktionen auf Ablehnung. Allerdings fordern Vertreter von Union, FPD, SPD und Grünen von den Kirchen, Missstände abzustellen. So betont der CDU-Abgeordnete Peter Weiß, es müsse klar sein, dass für ausgegliederte kirchliche Betriebe staatliches Arbeitsrecht, das Betriebsverfassungsgesetz und das Streikrecht gälten.



Verbände, Krankenhäuser oder Pflegedienste können selbst entscheiden

Die Kirchen sind sich des Sprengstoffs bewusst, der sich da ansammelt: Zwar hatten die katholischen Bischöfe 1993 eine Grundordnung erlassen, um der verfassungsrechtlich garantierten Freiheit, ihre Angelegenheiten autonom regeln zu können, eine rechtliche Basis zu geben. Zwar hat der Caritasverband 2007 Leitlinien verabschiedet, nach denen Ausgliederungen aus tarifpolitischen Gründen nicht zulässig sind.



Doch der vatikanische Gerichtshof entschied im April 2010, dass in Deutschland kirchliche Rechtsträger durchaus Einrichtungen betreiben dürfen, ohne das kirchliche Arbeitsrecht anzuwenden. Der Dritte Weg gilt demnach zwingend nur für Einrichtungen, die der bischöflichen Gesetzgebung unterstehen. Verbände, Krankenhäuser oder Pflegedienste könnten selbst entscheiden, ob sie die Grundordnung anwenden.



Darauf hat die katholische Kirche reagiert: Caritas-Präsident Peter Neher und der Sekretär der Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, betonten in Interviews, dass sie den Dritten Weg weiter für richtig halten. Der Verband der katholischen Diözesen VDD verpflichtete zudem im Juni die kirchlichen Unternehmen und Rechtsträger, die nicht der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt unterliegen, bis spätestens Ende 2013 die kirchliche Grundordnung verbindlich zu übernehmen. Sollte das nicht geschehen, fielen sie auch nicht mehr unter das kirchliche Arbeitsrecht; die besonderen Loyalitätspflichten der Angestellten der Kirche gegenüber gälten nicht mehr.



Mit anderen Worten: Gewerkschaften könnten solche Einrichtungen auffordern, Tarifverträge abzuschließen und Betriebsräte zu bilden. Streiks würden möglich. Frank Bsirske wäre zufrieden.