Paritätischer Wohlfahrtsverband kritisiert Hartz-IV-Bildungspaket

An der Realität vorbei?

Gut vier Monate nach der Verabschiedung des Bildungspakets für bedürftige Kinder hat nur rund ein Viertel der berechtigten Familien einen Antrag auf Leistungen gestellt. Für den Paritätischen Wohlfahrtsverband ist das Projekt chancenlos - warum, erläutert im domradio.de-Interview Hauptgeschäftsführer Schneider.

 (DR)

domradio.de: Das Bildungspaket wird nicht so gut angenommen. Woran liegt das?

Schneider: Im Bildungspaket ist z.B. die Verpflegung mit Essen in der Schule enthalten, aber nur 20 Prozent aller Schulen bieten so etwas überhaupt an. Es ist ein 10-Euro Gutschein für den Besuch von Musikschulen darin, wir wissen aber, dass jeder Musikunterricht an der Musikschule 60 Euro und mehr im Monat kostet, da kommt man nicht hin. Auch der 10-Euro-Gutschein für den Sportverein reicht gerade für den Beitrag, sobald ein Ausflug ansteht, Auswärtsspiele, Sportklamotten gekauft werden müssen, reicht es nicht. Mit anderen Worten, dieses Bildungspaket ist nicht so toll, dass es Frau von der Leyen aus den Händen gerissen wird, das hätte sie wissen müssen.



domradio.de: Das Bildungspaket reicht also nicht aus?

Schneider: Es ist zum Teil unzureichend, zum Teil aber auch viel zu umständlich angelegt. Es hat mit der sozialarbeiterischen Wirklichkeit eigentlich wenig zu tun, das kann nicht funktionieren mit dem Verteilen von Gutscheinen. Gerade wenn wir Kinder aus etwas bildungsferneren Familien erreichen wollen, dann müssen wir dort hingehen, wo die Kinder sind. An die Schulen und auch mit Streetworkingprojekten auf die Straße. Wir brauchen familienpädagogische Hilfen und Gemeinwesenarbeit, all das, was in diesem Bildungspaket überhaupt nicht enthalten ist. Deswegen konnte es überhaupt nicht funktionieren. Von einer Bildungsoffensive für Hartz-IV-Empfänger sind wir weit entfernt.



domradio.de: Welche Fortschritte sind denn heute von den Gesprächen zu erwarten?

Schneider: Da sitzt nun die Bundesarbeitsministerin mit Spitzenfunktionären aus einigen Verbänden, also alles Menschen, die mit der konkreten Umsetzung nicht befasst sind. Das machen vor Ort Geschäftsführer in Jobcentern, die Bürgermeister und die Menschen in den Schulen, alles Personen, die in der Regel an so runden Tischen in so luftigen Höhen nicht Platz nehmen. Daher erwarte ich jetzt erstmal nichts. Wenn man wirklich das Paket zur Wirkung bringen wollte, dann müsste man das ganze Ding reformieren und vom Kopf auf die Füße stellen, rigoros vereinfachen. Dann hätte man eine Chance.



domradio.de: Das Paket ist also generell negativ zu sehen?

Schneider: Dieses Bildungspaket ist mit ungeheuer hohen Bürokratiekosten verbunden, von jedem Euro gehen 30 Cent in die Verwaltung. Und es ist unheimlich schwierig an Mann und Frau zu bringen. Von daher würde ich sagen, es ist erstmal relativ wirkungslos. Ich kann mir wesentlich wirkungsvollere Alternativen vorstellen, und ich denke auf die müssten wir uns jetzt konzentrieren und schauen, wie wir aus diesem Bildungspaket noch etwas Vernünftiges stricken können.



Interview: Christian Schlegel