Kommissionspapier der Bischöfe zur sozialen Lage in Deutschland

"Chancengerechte Gesellschaft"

Die Kommission für gesellschaftliche und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz hat am Montag in Berlin unter der Überschrift "Chancengerechte Gesellschaft - Leitbild für eine freiheitliche Ordnung" ein 38-seitiges Thesenpapier vorgestellt. domradio.de dokumentiert den Text in Auszügen.

 (DR)

(...) Freiheit ist das Faszinationswort der Moderne. Trotz aller Rückschläge ist die historische Entwicklung insgesamt betrachtet eine freiheitliche Fortschrittsgeschichte. Mit der Zunahme von Freiheitsräumen haben sich die Möglichkeiten in allen Lebensbereichen ungeahnt vervielfacht. Hinter die großen Freiheitserrungenschaften unserer Zeit und die damit verbundene Zunahme an Wohlstand und Lebensqualität will sicherlich niemand zurück. (...)



Obwohl Deutschland gut durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen ist und sich die Beschäftigung in Deutschland positiv entwickelt, haben viele Menschen den Eindruck, es gehe nicht gerecht zu. Weit verbreitet ist auch das Gefühl, eine freie Gesellschaft bringe viele Verlierer und wenige Gewinner hervor. Viele haben deshalb Angst vor einem möglichen sozialen Abstieg. Diese Beobachtungen und Ängste sind sicher teilweise begründet, aber oftmals gibt es in unserem Land auch eine nur gefühlte Ungerechtigkeit.



Gleichwohl sind die Sorgen und die Verunsicherung der Menschen ernst zu nehmen. Als bischöfliche Kommission fürchten wir um den gesellschaftlichen Konsens und den Zusammenhalt in unserem Land. In der Debatte um eine gerechte Gesellschaft werden Gerechtigkeit und Freiheit heute oftmals gegenübergestellt. (...)



Im Zentrum aller Bemühungen um den Zusammenhalt der Gesellschaft steht die Sorge um den Menschen und seine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Deshalb muss sich die Gesellschaft am Leitbild der Chancengerechtigkeit orientieren und allen Menschen Chancen eröffnen. Dazu brauchen die Menschen den Mut zur Freiheit und die Gesellschaft das feste Fundament der Solidarität. (...)



Alles Bemühen um Freiheit und Gerechtigkeit soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass zu einer freien Gesellschaft ein gewisses Maß an Ungleichheit gehört. Ungleichheit beruht auf der Individualität des Menschen, auf unterschiedlichen Lebensumständen, Potenzialen und Befähigungen sowie auf dem unterschiedlichen Gebrauch von Freiheit.

Ungleichheit ist nicht automatisch ungerecht. Auch Chancengerechtigkeit ebnet Ungleichheit nicht ein. Es geht vielmehr darum, jedem Einzelnen Chancen zu seiner persönlichen Freiheitsentfaltung zu eröffnen. Nur wenn niemand fürchten muss, dauerhaft an den Rand gedrängt zu werden, wird die zunehmende Differenzierung der Gesellschaft den Zusammenhalt nicht gefährden.