Neue Erkenntnisse und Perspektiven zu Alzheimer

Hilfe durch Mensch und Technik

Autor/in:
Ronja von Wurmb-Seibel
 (DR)

Ein Wasserkocher, der merkt, wenn sein Besitzer ihn benutzen will, ein Teebeutel, der spürt, wenn er aus der Dose genommen wird, und eine Tasse, die den Moment erkennt, wenn sie vom Schrank auf den Tisch gestellt wird. Noch ist diese "denkende Küche" kaum mehr als das Hirngespinst einiger Wissenschaftler. In Zukunft könnte sie aber Alzheimer-Patienten dabei helfen, sich im Alltag zurechtzufinden.



Visionen wie die denkende Küche hält Alexander Kurz, Professor für Psychiatrie vom Münchner Klinikum rechts der Isar, für überzogen. Bei einer deutsch-französischen Expertendiskussion in Kooperation der Katholischen Akademie in Bayern und dem "SZ-forum Gesundheit" am Dienstagabend in München gab er zu bedenken: "Ich bin nicht ganz sicher, ob jemand, der schon ein bisschen verwirrt ist, durch einen solchen überaktiven Computer nicht noch mehr in Verwirrung geraten wird."



Grundsätzlich ist der Mediziner aber überzeugt, dass ein verstärkter Einsatz von Technologien dringend notwendig sei, um Demenz zu bekämpfen. Technische Erinnerungshilfen könnten dazu beitragen, die Eigenständigkeit aufrecht zu halten. Dann wären die Betroffenen nicht angewiesen auf die Hilfe von Familienangehörigen oder von Dritten, die ins Haus kommen.



Das Thema "Alzheimer" bewegt die Menschen, wie das große Teilnehmerinteresse bei der Veranstaltung zeigte. Derzeit liegt die Zahl der Personen, die an Demenz leiden, bundesweit bei 1,1 Millionen. Aktuellen Studien zufolge wird die Zahl der an Altersdemenz erkrankten Menschen in den kommenden Jahrzehnten dramatisch ansteigen und sich bis 2050 nahezu verdoppeln.



Künftig könnten Telefone Patienten daran erinnern, ihre Medikamente zu nehmen. Im Badezimmer würden die Menschen über Sensoren aufgefordert, die Zähne zu putzen oder den Wasserhahn wieder auszudrehen. Den Betroffenen würde damit das tägliche Leben immens erleichtert, so Kurz.



In einer optimalen Umgebung könne es ein, dass der betroffene Patient gar nichts von seinen Gedächtnisstörungen merkt, meint der Professor. Ein solch perfektes Umfeld hängt aber nicht nur von technischen Hilfsmitteln ab. Studien haben ergeben, dass die Erkrankten ihre eigene Lebensqualität vor allem nach Kriterien wie Aktivität, soziale Teilhabe und emotionales Wohlbefinden messen.

Entscheidend sind daher auch Aspekte wie Kontakt zur Berufswelt, eine Betreuung der Angehörigen und körperliche Fitness.



So fanden Wissenschaftler heraus, dass allein durch Ergotherapie die negativen Stimmungen der Patienten in einem Maße gelindert würden, das sonst nur durch die Einnahme von Antidepressiva erreicht werde.

"Es gibt ein Leben nach der Diagnose", zitierte der Mediziner einen seiner Patienten, um gleich darauf sein Publikum in die Pflicht zu nehmen. Dieses Leben zu gestalten, sei auch Aufgabe der Gesellschaft.



Kurz fordert die Zusammenarbeit von verschiedenen Akteure: Von Ärzten und Psychologen bis hin zu Kommunen, Unternehmen, Selbsthilfe-Gruppen und ehrenamtlich Engagierten. Die Erkrankten dürften nicht isoliert werden. Ein großes Problem sieht Kurz jedoch darin, dass in vielen Fällen die Diagnose erst zu einem relativ späten Zeitpunkt gestellt wird - dann, wenn die Krankheit schon weit fortgeschritten ist. Bessere medizinische Möglichkeiten gebe es im Fall einer Früherkennung.



Bei einer früher einsetzende Behandlung werde in der Folge der durchschnittliche Grad der Erkrankung abnehmen, vielleicht sogar die Zahl der Pflegefälle sinken, mutmaßt der Mediziner. "Wir werden es mit einem neuen Patiententyp, nämlich mit dem mündigen Demenzkranken zu tun haben." Das bedeutet aber auch: Die Zeit, in der die Patienten mit ihrer Krankheit leben müssen, wird deutlich zunehmen. Nur auf den medizinischen Fortschritt zu vertrauen, davon rät der Professor ab. Der werde das Problem zwar verändern, "es aber nicht lösen können".