Deutsche Spezialkräfte in Afghanistan unterliegen bei Terroristenjagd der nationalen Selbstbeschränkung

"Tot oder lebendig" gilt nicht für die Bundeswehr

"Gesucht - tot oder lebendig" - dieser Grundsatz gilt nicht für die deutschen Spezialkräfte in Afghanistan. Zwar beteiligt sich auch die Bundeswehr am Hindukusch an der Jagd auf Terroristen. Doch gehe es dabei "grundsätzlich um 'capture', also um Festnahme des Gesuchten", beschreibt das Verteidigungsministerium in Berlin die Einsatzregeln für die deutschen Soldaten. "Hier gibt es eine nationale Selbstbeschränkung."

Autor/in:
André Spangenberg
 (DR)

Grundlage für den Anti-Terror-Kampf ist das humanitäre Völkerrecht. Es lässt mit dem "Targeting" durchaus das gezielte Töten von Taliban-Führern zu. Demnach können "feindliche Kämpfer" auch außerhalb der Teilnahme an konkreten Feindseligkeiten "gezielt bekämpft" - also letztlich getötet - werden.



Auf der Zielliste der Afghanistan-Schutztruppe ISAF werden nicht nur Taliban-Führer aufgeführt, sondern auch Spitzen des Terrornetzwerkes Al Kaida. Aufständische und Terroristen werden dabei in verschiedene Kategorien eingeteilt, für die unterschiedliche Handlungsoptionen gelten. Bei Personen beispielsweise, die sich unmittelbar oder dauerhaft an den Feindseligkeiten beteiligen, besteht die Möglichkeit, "die Anwendung gezielt tödlich wirkender militärischer Gewalt zu empfehlen", wird bei der ISAF betont.



Deutschland beteiligt sich an der Terroristenjagd am Hindukusch seit Jahren mit einer Elite-Einheit, der Task Force 47 (TF 47). Das Kommando war erst im Zusammenhang mit den Ermittlungen nach dem von Oberst Georg Klein angeordneten Luftschlag von Kundus am 4. September 2009 bekannt geworden. Die Soldaten rekrutieren sich dabei aus dem geheim operierenden Kommando Spezialkräfte (KSK).



Offiziell gibt das Verteidigungsministerium keine Auskünfte zu KSK-Einsätzen. Auch in diesem Fall heißt es lediglich: "Das deutsche Einsatzkontingent setzt sich aus allen notwendigen Kräften zusammen." Dazu gehörten auch Spezialkräfte.



Doch anders als die amerikanischen Spezialeinheiten geht die deutsche Task Force 47 nicht mit gezielten Tötungen gegen die Taliban-Kommandeure vor. Zudem ist das Einsatzgebiet durch das Bundestagsmandat auf die ISAF-Region beschränkt. Eine KSK-Operation wie die gegen Osama bin Laden gilt daher als ausgeschlossen.



Zu den Aufgaben der TF 47 gehört die gezielte Festnahme der Führer der Taliban. Doch wird es als "eher unwahrscheinlich" eingeschätzt, dass deutsche Elite-Soldaten in Afghanistan allein vorgehen. Vielmehr dürfte es immer ein "Zusammenwirken mit afghanischen Spezialkräften" geben, deren Einsatzfähigkeit unter Experten zunehmend als gut eingeschätzt wird.



Dutzende von Aufklärungsoperationen und zusammen mit afghanischen Sicherheitskräften vorgenommene "offensive Operationen gegen militante Kräfte" durch die Task Force 47 wurden bislang bekannt. "Bei offensiven militärischen Operationen erfolgten keine Tötungen durch Angehörige der TF 47", hieß es zuletzt offiziell im Sommer vergangenen Jahres. Soweit die TF 47 durch Aufständische angegriffen wurde oder Ziel von Sprengstoff-Anschlägen war, seien "Maßnahmen zur Verteidigung ergriffen" worden.



Ungeachtet dessen könnten die Spezialkräfte nach Einschätzung von Experten sogar "aktiv gegen identifizierte Akteure des gegnerischen Netzwerkes" vorgehen. Denn im Rahmen eines nicht-internationalen bewaffneten Konflikts sei die "offensive Bekämpfung militärischer Ziele" nicht verboten, wenn die Regeln des humanitären Völkerrechts eingehalten werden. Demnach könnten Personen gezielt angegriffen werden, wenn sie sich "unmittelbar an Kampfhandlungen beteiligen".



Die Tötung Osama bin Ladens zeigt jedoch, wie interpretationsfähig die Trennlinie bei "targeted killing" ist und warum Deutschland die "Selbstbeschränkung" eingeführt hat. Denn nur wenn sich das Zielobjekt "kontinuierlich an Kämpfen" beteilige, verliere es seinen generellen Schutzstatus, sagt das Internationale Komitee vom Roten Kreuz. Führende Terroristen, so wird in Sicherheitskreisen entgegnet, seien jedoch keine einfachen Zivilisten, sondern würden durch ihre herausgehobene Funktion "dauerhaft zu unmittelbaren Teilnehmern an Feindseligkeiten".