dapd: Es handelt sich in Deutschland um den ersten Prozess auf Grundlage des Völkerstrafgesetzbuchs. Wie würden sie die Bedeutung dieses Prozesses auch über Deutschland hinaus einordnen?
Kotzur: Ich glaube, das Verfahren ist ein wichtiger Meilenstein. Ergänzend zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gibt es die Möglichkeit, dass auch nationale Gerichte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder Völkermord aburteilen. Das nun in Stuttgart stattfindende Verfahren könnte sicherlich auch ein Präzedenzfall in einem informellen Sinne sein. Das heißt nicht, dass es irgendeine rechtliche Bindungswirkung für andere Staaten hätte. Aber es hat sicherlich diese Wirkung, dass es große Aufmerksamkeit generiert. Auch könnte es andere Staaten dazu motivieren, in konkreten Fällen zu überdenken, ob die Strafverfolgung von nationalen Gerichten geboten ist.
dapd: Welchen Vorteil hat es, dass ein nationales Gericht verhandelt und nicht der Internationale Gerichtshof?
Kotzur: Es kann in manchen Fällen von Vorteil sein - denkt man zum Beispiel an die Verurteilung des ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein -, dass in dem Staat, in dem das Unrecht stattgefunden hat, die Strafjustiz eingreift und damit nicht der Eindruck entsteht, dass auf internationaler Ebene so etwas wie Siegerjustiz ausgeübt wird. In dem Fall, der in Stuttgart verhandelt wird, hat das Verbrechen nichts mit Deutschland zu tun. Es wird nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip angeklagt, also unabhängig von der Frage, ob die Straftat von einem deutschen Staatsangehörigen verantwortet wurde oder gegen einen Deutschen gerichtet war oder auf deutschem Territorium stattfand. Zudem wird auch ein internationales Gericht wie der Strafgerichtshof in Den Haag entlastet, der unmöglich alle Kriegsverbrecher der Welt gleichzeitig aburteilten könnte.
dapd: Weshalb hat es in Deutschland nicht schon früher einen solchen Prozess gegeben, wenn doch das Völkerstrafgesetzbuch seit 2002 in Kraft ist?
Kotzur: Es liegt einmal an der schwierigen Beweisführung, anderseits daran, dass in dem Völkerstrafgesetzbuch nur ganz extreme Verbrechenstatbestände geregelt sind, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Ähnliches. Die Verbrechen sind außerordentlich schwierig zu beweisen, deshalb sind diese Fälle in der Praxis auch so selten und in Deutschland bislang auch nicht vorgekommen.
dapd: Hat Deutschland Erfahrung mit solcher Ermittlungsarbeit?
Kotzur: Das ist sicher ein Stück weit Neuland, obwohl internationale Ermittlungsarbeit teilweise auch in anderen Verfahren geleistet wird, wo es einen Auslandsbezug gibt. Aber hier haben wir ein extrem schwieriges Ermittlungsumfeld, da in einem Bürgerkriegsland nachgewiesen werden muss, wo es zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist und wie die Verantwortungsstrukturen sind, wie Befehlsketten laufen. Eine Kooperation mit Behörden ist weitaus schwieriger als in einem Rechtsstaat. Es ist auch extrem schwierig, Zeugenaussagen zu ermöglichen. Ein nationales Gericht kann sich aber an der Arbeit internationaler Gerichte orientieren wie am Jugoslawien-Tribunal, am Ruanda-Tribunal oder am Internationalen Strafgerichtshof.
dapd: Wie häufig wird es solche Prozesse voraussichtlich geben?
Kotzur: Das ist schwer zu prognostizieren. Es wird sicherlich keine Flut solcher Verfahren geben können, das ist ganz klar. Denn das sind ganz einzigartige, selten vorkommende Verbrechenstatbestände mit unglaublich hohem Ermittlungsaufwand. Es ist nicht damit zu rechnen, dass das irgendwann zum Alltag deutscher Gerichte gehören wird. Es wir immer eine Ausnahme bleiben.
dapd: Wenn der Prozess scheitert und die Angeklagten nicht verurteilt werden, besteht die Gefahr, dass Prozesse dieser Art wenig öffentliche Akzeptanz erfahren?
Kotzur: Immer wenn solche neuen international etablierten Mechanismen ausprobiert werden, erhofft man sich natürlich, dass sie besonders reibungslos funktionieren. Aber man muss sich klarmachen, dass allein die Tatsache, dass ein solches Verfahren geführt werden kann, ein ganz großer Erfolg und Fortschritt für die Idee internationaler Strafgerichtsbarkeit ist. Solche Verfahren dauern extrem lange. Natürlich müssen auch hier strengste rechtsstaatliche Grundsätze wie die Unschuldsvermutung und Ähnliches gelten. Deshalb kann es am Ende natürlich sein, dass ein solches Verfahren mit einem Freispruch endet. Das muss man hinnehmen, das gehört zu einem Strafverfahren. Es geht ja nicht darum, ein Exempel zu statuieren.
Das Interview führte Karoline von Graevenitz, dapd-Korrespondentin
Völkerrechtler erhofft sich Signalwirkung von Stuttgarter Kriegsverbrecherprozess
"Das Verfahren ist ein wichtiger Meilenstein"
Am Mittwoch hat in Stuttgart der Prozess gegen zwei mutmaßliche Kriegsverbrecher aus Ruanda begonnen. Der Prozess wird auf Grundlage des 2002 in Kraft getretenen Völkerstrafgesetzbuchs verhandelt. Die Männer müssen sich vor dem Oberlandesgericht wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen im Ostkongo verantworten. Den Rädelsführern der bewaffneten Miliz "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (FDLR) wird vorgeworfen, während des Bürgerkriegs Gräueltaten an der Volksgruppe der Tutsi von Deutschland aus organisiert zu haben. Mit dem Völkerrechtler Markus Kotzur von der Universität Leipzig sprach dapd-Korrespondentin Karoline von Graevenitz über die völkerrechtliche Bedeutung des Prozesses.
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