Der Tod Bin Ladens könnte einen neuen Mythos schaffen

"Wenn ich sterbe, dann als Märtyrer"

"Wenn ich sterbe, dann als Märtyrer." Das soll Osama bin Laden angekündigt haben. Der Terrorist als Opfer: Nach seiner Tötung durch US-Truppen fürchten westliche Beobachter, dass der Chef des Terror-Netzwerks El Kaida nun in der arabischen Welt zum Märtyrer erkoren wird. Und dass sein Tod gerächt werden soll.

Autor/in:
Christoph Arens
 (DR)

"Immerhin hat die palästinensische Hamas bin Laden wenige Minuten nach der Bekanntgabe seines Todes zum Märtyrer erkoren", schreibt beispielsweise der Journalist und Islambeobachter Udo Ulfkotte. "Überall in der arabischen Welt wächst nun die Wut auf die USA."



Wörter können ihre Bedeutung verändern: Das Wort "Märtyrer" ist dafür ein gutes Beispiel. Im Griechenland der vorchristlichen Zeit bedeutete es nichts weiter als "Zeuge" in einem Rechtsstreit. Der Vielgötterkult der heidnischen Antike ließ niemanden zum Märtyrer werden. Anders in Judentum, Christentum und Islam: "In den abrahamitischen Religionen genießt das Martyrium, die Bereitschaft, durch sein Leben Zeugnis für die Wahrheit oder für den wahren Gott abzulegen, hohe Reputation", sagt der Münsteraner Mittelalter-Historiker Christoph Dartmann.



Blut der Märtyrer als "Samen der Kirche"

"Selig seid ihr, wenn euch die Menschen um meinetwillen schmähen und verfolgen", sagt Jesus in der Bergpredigt. Der frühchristliche Schriftsteller Tertullian (vermutlich 150 bis 230 n. Chr.) bezeichnete das Blut der Märtyrer als "Samen der Kirche". Viele Christen, die dem Kaiser heidnische Opfer verweigerten, haben mit einem qualvollen Märtyrertod bezahlt.



In den Christenverfolgungen des 3. Jahrhunderts verbreitete sich der aufblühende Märtyrerkult im ganzen Römischen Reich. Jeweils am Jahrestag des Todes wurde an den Märtyrergräbern das Abendmahl gefeiert; vielerorts wurden über den Gräbern - wie über dem Petersgrab in Rom - große Basiliken errichtet. Der Märtyrertod alleine reichte oft schon für eine Heiligenverehrung.



Opfer, nicht Täter

Ganz klar war dabei: Der Märtyrer war Opfer, nicht Täter. Er erlitt den Tod als Blutzeuge für die Sache Gottes. Allerdings: Auch im westlichen Christentum konnten Glaubenszeugnis und Gewaltausübung miteinander verbunden sein. Als Papst Urban II. im Jahr 1095 zum ersten Kreuzzug aufrief, versprach er den christlichen Kriegern den Erlass der Sünden: Gefallene Kreuzeskrieger umgingen demnach das göttliche Gericht; sie wurden Märtyrern gleichgestellt.



Auch im Islam ist der Begriff des Märtyrers populär: Märtyrer ist ein Muslim, der bei der Ausübung seiner Religion von Gegnern getötet wird, sei es im Krieg zur Verteidigung der Muslime und Unterdrückten, oder während eines zivilen Einsatzes, bei dem er Opfer eines Anschlags wird. Auch ein Pilger, der während der Pilgerfahrt stirbt oder eine Mutter, die beim Gebären stirbt, gilt als Märtyrer.



Beispiel der Selbstaufopferung

Urbild des muslimischen Märtyrers ist der Imam Hussein, der Enkel des Propheten Mohammed, der sich 680 dem Heer des Kalifen Yazid zur Entscheidungsschlacht stellte und nach heldenhaftem Widerstand fiel. Dieses Beispiel der Selbstaufopferung nahm der iranische Revolutionsführer Ruhollah Chomeini auf, der schiitische Muslime zur Nachahmung im Krieg gegen den Irak und gegen Israel anspornte.



Für El Kaida erlaubt die islamische Pflicht des Dschihad einen Terrorkrieg gegen Amerika und seine Verbündeten. Der Selbstmordangriff wurde zur wichtigsten Waffe; der Attentäter soll direkt ins Paradies gelangen.



Spätestens seit dem 11. September 2001 werde das Bild des religiösen Märtyrers sehr einseitig vom Blick auf diese Täter geprägt, bedauert der Islamwissenschaftler Jan-Peter Hartung von der Londoner School of Oriental and African Studies. Dabei lasse sich diese Verbindung keineswegs klar aus den religiösen und rechtlichen Schriften des Islam begründen. Ein Selbstmordanschlag werde nirgendwo eindeutig gerechtfertigt, zumal Selbstmord im Islam verpönt sei. Nur durch eine bewusste Vereinfachung von komplexer Theologie und Religionsrecht hätten gewaltbereite Islamisten dem Martyrium zu neuer Macht verholfen, um politische Ziele mit Terror durchzusetzen.