Wie die Atomlobby in Entwicklungsländern für neue Kernkraftwerke wirbt

Traum von der strahlenden Zukunft

Yukija Amanos Glauben scheint unerschütterlich. "Der Unfall in Fukushima ist die Folge einer beispiellosen Naturkatastrophe", erklärte der Chef der Internationalen Atomenergieagentur IAEA am Dienstag in Wien. "Aber das ändert nichts daran, dass wir eine stabile und klimaneutrale Energiequelle brauchen."

Autor/in:
Marc Engelhardt
 (DR)

Amano ist Japaner - und erfüllt seinen Job. Denn die IAEA wurde 1957 mit dem Ziel gegründet, die friedliche und sichere Nutzung der Kernenergie zu fördern. Dass in seiner Heimat die schlimmste nukleare Katastrophe der Geschichte droht, ändert anscheinend nichts.



Amano wirbt für Atomkraft. Wie sein Vorgänger, der Ägypter Mohammed al-Baradei, tut er dies auch in Ländern, die einem kaum als sichere Standorte für Atommeiler in den Sinn kommen. "Algerien, Marokko, Tunesien und Nigeria gehören zu den Ländern, die dabei sind, ihr Nuklearprogramm aufzubauen", erklärt Ali Boussaha, der bei der IAEA für die technische Zusammenarbeit mit Afrika zuständig ist. Insgesamt 60 Länder sollen in den vergangenen Jahren Interesse am Bau von Atomkraftwerken bekundet haben.



"Der Wind weht nicht immer, die Sonne scheint nicht immer, aber Nuklearenergie liefert eine verlässliche Grundversorgung", wirbt die IAEA-Expertin Anne Starz. Selbst Ölstaaten wie Kuwait oder die Vereinigten Arabischen Emirate seien deshalb dabei, Atomkraftwerke zu planen. Von einer "Renaissance" der Atomkraft ist die Rede - und die wird von den wenigen Unternehmen, die heute noch Reaktoren bauen, kräftig angeschoben.



Für das französische, staatlich kontrollierte Kernenergieunternehmen Areva NP rührt Präsident Nicolas Sarkozy höchstselbst die Werbetrommel. 2007 schloss er ein erstes Abkommen mit Libyens damals noch hofiertem Machthaber Muammar al-Gaddafi. Kooperationsverträge gibt es auch mit Marokko, Algerien und Saudi-Arabien. Auch in Jordanien, dem Jemen und Tunesien soll Areva vorstellig geworden sein. Die politische Brisanz, die angesichts der derzeitigen Aufstände in Nordafrika besonders sichtbar wird, spielte keine Rolle. Es ging ums Geschäft - und um viel Geld.



Auf mindestens fünf Milliarden Euro veranschlagen Experten die Kosten für einen neuen Atommeiler. Nicht nur Frankreich, auch Russland, Korea und China kämpfen um solch lukrative Aufträge, ebenso der US-Konzern Westinghouse und mehrere japanische Unternehmen. Der Markt ist klein: seit 2005 wurde mit dem Bau von gerade einmal 32 Anlagen begonnen, von denen zwanzig in China und sechs in Südkorea stehen sollen.



Außer dem energiehungrigen China, das vor allem staatseigene Firmen mit dem Bau neuer Meiler beauftragt, gelten Entwicklungsländer als Markt der Zukunft. Nur in wenigen von ihnen wird die Atomkraft bereits genutzt: Argentinien, Brasilien, Mexiko, Pakistan und Südafrika betreiben je zwei Meiler, in keinem der fünf Staaten deckt die Atomkraft mehr als fünf Prozent des Strombedarfs. Auch in Indien mit seinen 18 Reaktoren machte Atomkraft 2008 nur zwei Prozent im Strommix aus.



Während koreanische Unterhändler bei Nigerias Atomenergiekommission vorstellig wurden, wirbt die russische Rosatom in Namibia für schwimmende Meiler, die vor der Küste des südafrikanischen Landes vertäut werden sollen. Kritiker sind entsetzt wegen der drohenden Umweltfolgen und der Gefahr, dass das radioaktive Material für Waffen missbraucht werden könnte.



Doch auch der Nutzen der Atomkraft zur Entwicklung armer Länder ist umstritten. Selbst die IAEA räumt ein: "Wenn man sofort Strom braucht, hilft Atomenergie nicht - man geht eine langfristige, 100-plus-Jahre-Verpflichtung ein."



Kritiker wie der britische Universitätsprofessor Steve Thomas gehen noch weiter. Die beschworene Renaissance der Atomkraft sei gar nicht vorhanden, glaubt der Energieexperte. Um den Faktor fünf gestiegene Baukosten und Engpässe bei Bauteilen und Fachpersonal machten den Bau neuer Atomkraftwerke in vielen Fällen unmöglich. So habe etwa die Türkei schon mehrfach AKWs ausgeschrieben, aber nie einen realisierbaren Kostenvoranschlag bekommen.



Ähnlich schätzt Thomas die Lage in Südafrika oder Brasilien ein, von kleineren Entwicklungsländern ganz zu schweigen. Dort fehlen oft schon die technischen Voraussetzungen: denn das Stromnetz darf nicht zu mehr als einem Drittel von einem einzigen Kraftwerk abhängen, ansonsten drohen massive Stromausfälle. In den meisten afrikanischen Staaten, wo oft kaum mehr als ein paar Dutzend Megawatt erzeugt werden, ist der Bau eines 1000-Megawatt-Atommeilers deshalb nicht mehr als eine Vision.