Menschenrechtler fordern schnelle Sanktionen gegen Gaddafi

"Völkermord in höchster Potenz"

Libyens Staatschef Gaddafi hat in einer TV-Ansprache jedes Einlenken abgelehnt und angekündigt, kämpfen und als "Märtyrer" sterben zu wollen. Für die Proteste gegen sein Regime machte er drogenkranke Jugendliche und ausländische Medien verantwortlich. Amnesty International fordert schnelle Konsequenzen für den Diktator, Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat die Vorgänge in Libyen als "Völkermord in höchster Potenz" bezeichnet.

 (DR)

Nach dem gewalttätigen Vorgehen libyscher Sicherheitskräfte gegen Demonstranten fordert Amnesty International (ai) Konsequenzen für Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi. Der UN-Sicherheitsrat solle beim Internationalen Strafgerichtshof in den Haag ein Verfahren gegen Gaddafi auf den Weg zu bringen, sagte die Generalsekretärin von ai Deutschland, Monika Lüke, der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Mittwoch). "Es besteht der begründete Verdacht, dass Gaddafi mit der rücksichtslosen Jagd auf Demonstranten in seinem Land Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat", so Lüke zur Begründung. Diese "massiven Menschenrechtsverstöße" müssten juristische Folgen haben. Die ai-Generalsekretärin forderte den UN-Sicherheitsrat zudem auf, den Druck auf das Regime in Tripolis zu erhöhen, "damit Libyen unabhängige internationale Beobachter ins Land lässt".



Laut Angaben Lükes sind bei den Unruhen in Libyen deutlich mehr Menschen gestorben als bisher gemeldet. "Wir rechnen mit Hunderten Toten. Vor allem bei den Protesten in der Stadt Bengasi gab es weit mehr Opfer als offiziell bekannt ist." Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat die Vorgänge in Libyen als "Völkermord in höchster Potenz" bezeichnet. Asselborn forderte die internationale Gemeinschaft auf, ein UN-Mandat zum Schutz der libyschen Bevölkerung vor den Massakern zu erwirken. Im Land seien Zehntausense Söldner, Scharfschützen würden eingesetzt, um die Menschen niederzuschießen. Konkret forderte der luxemburgische Außenminister eine internationale Kontrolle der Flugbewegungen von und nach Libyen, um die Einreise weiterer Söldner zu verhindern. Indirekt forderte Asselborn die Arabische Liga zum Eingreifen auf. Ob ausländische Truppen entsendet werden sollten, müssten die UN entscheiden. Die Völkergemeinschaft könne aber nicht zuschauen, wenn Tausende Menschen abgeschlachtet würden.



Asselborn kündigte EU-Sanktionen gegen Libyen an. Dazu gehörten Einreiseverbote und Einfrieren der Bankkonten von Staatschef Muammar al-Gaddafi und seiner Getreuen. Dabei werde es auch Übereinstimmung mit den südlichen EU-Ländern wie Italien und Malta geben. Die EU-Staaten müssten wirtschaftliche Interessen zurückstellen, wenn es um die Verhinderung von Massakern gehe. Mit Blick auf mögliche Flüchtlingsbewegungen aus Libyen rief Asselborn EU und Nato auf, viel weniger Geld in Rüstung zu stecken und dafür die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in den Herkunftsländern zu verbessern. Kurzfristig müsse die EU aber auch fähig sein, in einem gewissen Maß "aktive Menschlichkeit" zu zeigen und Flüchtlinge aufnehmen. Dabei dürfe aber nicht der Eindruck erweckt werden, als könne die EU den Betroffenen ein besseres Leben garantieren. Wichtiger sei, ihnen in ihren Ländern eine Perspektive zu geben. Die ungarische EU-Präsidentschaft hatte Gaddafi am Dienstag mit Sanktionen gedroht. Die EU müsse sehr entschieden gegenüber allen Kräften auftreten, die die Demokratiebewegung stoppen wollten, sagte der Staatsminister im ungarischen Außenministerium, Zsolt Nemeth, nach einem Treffen der EU-Entwicklungsminister. Die EU müsse dabei so eindeutig handeln, wie sie es gegenüber Diktatoren im Osten getan habe. Als Beispiel nannte Nemeth den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, gegen den erst jüngst wieder EU-Sanktionen verhängt worden waren. Nemeth äußerte sich bestürzt über die Tragödie der Gewalt in Libyen. Es sei nicht hinnehmbar, dass Diktatoren auf ihr eigenes Volk schießen ließen. Die EU verurteile die Handlungen Gaddafis. Der ungarische Außenpolitiker rief die EU auf, Schritte zu unternehmen, um dafür einzutreten, dass aus den Oppositionsbewegungen wirkliche Freiheitsbewegungen würden, die sich für Demokratie und universelle Werte einsetzten.



Trittin übt scharfe Kritik an Libyen-Politik der EU

Der Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Jürgen Trittin, hat die Libyen-Politik der EU derweil als doppelbödig kritisiert. "Man muss sich klar machen, dass die Europäische Union, und damit die Mitgliedsstaaten von Deutschland über Frankreich bis zum kleinen Malta, nach wie vor Verhandlungen mit Libyen laufen haben über eine Rückführung von Flüchtlingen", sagte Trittin am Mittwoch dem rbb-Inforadio. Gleichzeitig flögen Sondermaschinen der Lufthansa "in das gleiche Land, in das wir Flüchtlinge zurückschicken wollen, und evakuieren unsere Staatsbürger". Trittin

wörtlich: "Das ist nachgerade absurd."



Die EU-Staaten müssten verhindern, dass es in Libyen zu einer ähnlichen Entwicklung komme wie in den Nachbarstaaten Tunesien und Ägypten, so Trittin weiter. "Eine Zukunft wird dieses Land nur haben, wenn diese Despotie dort beendet wird, und dazu gehört es, dass Europa mit der doppelten Moral aufhört, Herrn Gaddafi als skurrilen Helfer, der in die Kameras keift, zu belächeln, zu beschimpfen, zu kritisieren, aber in Wirklichkeit dann massiv Geschäfte mit ihm zu machen."



Caritas-Mitarbeiterin: Lage in Tripolis ist "sehr ernst"

Schwester Sherly Joseph von Caritas Libyen hat die Situation in Tripolis als "sehr ernst" bezeichnet. Seit zwei Tagen habe sie ihren Konvent am Rande des Zentrums der libyschen Hauptstadt nicht mehr verlassen, sagte die Franziskanerin am Dienstag dem kirchlichen Pressedienst SIR in Rom. Dennoch wolle sie das Land nicht verlassen, sondern ihre Arbeit für Migranten fortsetzen. In ihrer Gegend sei es ruhig, und sie habe keine Angst um sich, erklärte die Ordensfrau. Die Europäer reisten alle aus, aber sie könne ihre Arbeit nicht im Stich lassen. "Die Migranten sind arm und können nicht fortgehen". Auch ihre Mitschwestern blieben zunächst vor Ort. Sie schließe allerdings nicht aus, dass sie bei einer Verschlechterung der Sicherheitslage ihren Konvent verlassen müssten.