Israel zwischen Nation, Diskriminierung und religiösem Druck

Wie jüdisch darf, muss es sein?

Die Koalitionskrise der israelischen Regierung ist durch eine Marathonsitzung noch einmal abgewendet - der Haushaltsplan, der verschiedenen Parteien im Streit um die staatliche Anerkennung von Konversionen als Druckmittel diente, angenommen. Doch die Fragen nach dem Einfluss der Religion und nach dem Verhältnis der jüdischen Israelis zu ethnischen und religiösen Minderheiten spalten das Land und seine Regierung.

Autor/in:
Andrea Krogmann
 (DR)

Ein Treueid auf den "jüdisch-demokratischen Staat Israel" für Anwärter auf die Staatsbürgerschaft; antiarabische Demonstrationen und die Verbannung des Arabischen aus den Klassenräumen einer Schule in Jaffa; Richtlinien zum Schutz des "jüdischen und zionistischen Charakters" von Siedlungen: Eine Reihe rassistisch anmutender Vorstöße der vergangenen Wochen ruft in der israelischen Bevölkerung gleichermaßen Zustimmung wie Proteste hervor.



Für scharfe Kritik sorgte zuletzt ein religiöses Urteil, in dem sich rund 50 konservative Rabbiner für ein Verbot von Immobiliengeschäften zwischen Juden und Arabern aussprachen. Die Proteste reichten von Demonstrationen über Gegenpetitionen bis zur Ankündigung einer Strafuntersuchung gegen die Unterzeichner. Gemäßigt-konservative Rabbiner erarbeiteten ein Gegenurteil.



Ein weiteres Schreiben, diesmal von 27 Rabbiner-Frauen, doppelte nach. Jüdinnen sollten jede Form des Kontakts mit "unseren arabischen Feinden" meiden - inklusive dem Nationaldienst an Orten, an denen auch Araber Dienst tun. Ein neuerliches Gegenstatement ließ nicht lange auf sich warten: Mehr als 30 Reformrabbiner-Frauen sprachen von einem "weiteren Glied in einer wachsenden Kette rassistischer Hetze und Einschüchterung". Israels Gesellschaft falle in ein tiefes Loch des Rassismus, meint auch der führende Reformrabbiner Gilad Kariv. Die Arbeiterpartei von Ehud Barak forderte ein Ende der rassistischen Stimmungsmache.



So groß der Aufschrei gegen Diskriminierungen in Teilen der israelischen Gesellschaft ist: Das rabbinische Immobilienverbot etwa findet die Unterstützung von 44 bis 55 Prozent der jüdischen Israelis - je nachdem, welcher Umfrage man glaubt. Ablehnung kommt von 42 bis 48 Prozent.



Nicht nur die Abgrenzung gegenüber der arabischen Minderheit spaltet die Gesellschaft. "Haredim, geht arbeiten", skandierten im Oktober Tausende säkulare Studenten. Kurz zuvor war ein Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht worden, der Stipendien für Vollzeit-Jeshiva-Studenten (Talmud-Schüler) vorsieht. Wie sehr der religiöse Druck das öffentliche Leben betrifft, zeigt ein weiteres Beispiel. Die von ultraorthodoxen Juden durchgesetzte Geschlechtertrennung auf bestimmten Buslinien könnte nach Aussagen des zuständigen Richters Elyakim Rubinstein vom Obersten Gerichtshof zugelassen werden. Noch im Oktober 2009 hatte eine Expertenkommission des Transportministeriums die Trennung für gesetzwidrig erklärt.



Im Streit um die rechtliche Handhabung von Übertritten zum Judentum befürchteten die örtlichen Medien gar eine Regierungskrise, wenn nicht das Ende der Koalition. Der Streitpunkt: Israel hat den orthodoxen Konversionsprozess über das Oberrabbinat als offizielle Konversion übernommen. Gleichzeitig bieten die Streitkräfte Konversionskurse an. Seitdem wird in der Regierung um eine staatliche Anerkennung von Armeekonversionen ohne Bestätigung durch das Oberrabbinat gestritten.



Unterstützung kommt von Außenminister Avigdor Liebermans rechtsnationaler Partei "Israel Beitenu" - ein Pfeiler für Ministerpräsident Netanjahus Knesset-Mehrheit und Partei vor allem der vielen osteuropäischen Einwanderer. Innenminister Eli Yishai mit seiner orthodoxen Schass-Partei sowie kleinere religiöse Parteien wie das "Vereinigte Tora-Judentum" drohten mit Boykott des Haushaltsplans und gar mit dem Austritt aus der Koalition, sollte das Konversionsgesetz zur Abstimmung kommen.



Leidtragende der gegenwärtigen Stimmung ist nicht zuletzt die kleine christliche Minderheit im Land. Mit Plakaten wie "Wird Jerusalem christlich?" rief kürzlich die ultraorthodoxe Gemeinschaft zum Boykott einer Luxuseinkaufsmeile auf, deren Lichtdekoration "zu weihnachtlich" sei. Und in einem überwiegend jüdisch bewohnten Ortsteil von Nazareth, der Vaterstadt Jesu, wies der Bürgermeister die Forderung arabischer Christen als "Provokation" zurück, auf öffentlichen Plätzen Christbäume aufstellen zu dürfen: Nazareth-Illit sei "eine jüdische Stadt".