Energiekonzept mit längeren Atomlaufzeiten beschlossen

Am Bundesrat vorbei

Längere Atomlaufzeiten, Ausbau erneuerbarer Energien, ehrgeizige Klimaziele: Der Bundestag hat am Donnerstag mit schwarz-gelber Mehrheit das Energiekonzept der Regierung gebilligt, das Unternehmen und Bürgern in den nächsten vier Jahrzehnten Milliardeninvestitionen abfordern wird. Die Opposition lehnte das Paket ab und plant nun Verfassungsklagen gegen die Abkehr vom Atomausstieg.

 (DR)

Auch mehrere Bundesländer wollen nach Karlsruhe ziehen, weil der Bundesrat nicht mitbestimmen darf. In der Schlussdebatte über die vier Energiegesetze hatten sich Opposition und Koalition noch einmal einen erbitterten Schlagabtausch geliefert. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) warf SPD, Grünen und Linken "argumentationsloses Kampfgeschrei" und Konzeptionslosigkeit vor. Die Opposition beklagte einen "Putsch" gegen ihre Rechte bei der Beratung der Gesetze und warnte vor dem Ende des gesellschaftlichen Friedens in Deutschland. Ihr Versuch, Debatte und Abstimmung in letzter Minute zu verhindern, scheiterte allerdings an der Mehrheit von Union und FDP.



Zentraler Punkt des Energiekonzepts ist die Verlängerung der Atomlaufzeiten um acht bis 14 Jahre. Von den zusätzlichen Gewinnen der vier Betreiber will die Koalition bis zu 30 Milliarden Euro abschöpfen und in den Ausbau erneuerbarer Energien stecken. Sie argumentiert, sonst wäre die Umstellung auf Ökoenergien bis 2050 nicht bezahlbar. Die heutige Opposition, die in der rot-grünen Regierung vor zehn Jahren den Atomausstieg bis 2021 durchsetzte, warnt vor den Gefahren der Technik und davor, dass der billige Atomstrom den Ausbau erneuerbarer Energien verzögert.



"Energiepolitische Blindgänger"

Umweltminister Röttgen sagte, SPD, Grüne und Linke hätten kein Gegenkonzept. Sie seien "energiepolitische Blindgänger, Sie haben nichts drauf." Dagegen plane die Regierung "die effizienteste, klimafreundlichste, wettbewerbsfähigste Energieversorgung, die es weltweit gibt in einem Industrieland". Dies sei in Zahlen belegt. Die Koalition wolle bis 2050 einen Anteil von 80 Prozent für erneuerbare Energien an der Stromversorgung, 80 Prozent weniger Kohlendioxidausstoß und eine Halbierung des Energieverbrauchs. "Das ist unser Konzept, das ist Zukunft, und zwar ganz konkret", sagte er. Über diese Ziele gebe es in Wahrheit Konsens im Bundestag. Dazu solle sich die Opposition bekennen.



Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) warf den Anhängern der Opposition vor, den für erneuerbare Energien so wichtigen Netzausbau zu blockieren. Um den Widerstand der Bürger zu überwinden, schlug Brüderle einen "nationalen Pakt für neue Netze" vor.



Karlsruhe soll Gesetze stoppen

Die früheren Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne) zerpflückten das Konzept der Regierung und griffen ihren Nachfolger auch direkt an. Röttgen fülle seine Aufgabe als Minister für Reaktorsicherheit nicht aus, sagte Gabriel. Unter anderem weiche er Sicherheitsstandards für Atomkraftwerke auf. Der SPD-Chef war sich sicher, die längeren Atomlaufzeiten noch stoppen zu können: "Wir werden dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen."



Dies bekräftigte auch Grünen-Fraktionschef Trittin. Die Koalition habe im Bundestag die Rechte der Minderheit ignoriert und wolle auch den Bundesrat nicht beteiligen. "Sie brechen die Verfassung und sie spalten die Gesellschaft", sagte Trittin.



Linken-Fraktionschef Gregor Gysi schloss sich der Kritik an. Wenn in Deutschland ein Atomkraftwerk explodiere, werde Leben hier unmöglich: "Das nehmen Sie alles in Kauf für die Profitinteressen von vier Konzernen", sagte Gysi.



Im Regierungsviertel demonstrierten während der Debatte Tausende mit einer Menschenkette und einem ohrenbetäubenden Pfeifkonzert gegen die Laufzeitverlängerung.



Kirchen gegen Laufzeitverlängerung

Als unverantwortlich kritisiert der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buß, den Beschluss, wonach die 17 deutschen Atomkraftwerke im Schnitt zwölf Jahre länger am Netz bleiben dürfen. "Diese Entscheidung dient weder der sicheren Versorgung der Bevölkerung mit Energie noch dem Klimaschutz", kritisierte Buß in einem epd-Gespräch in Bielefeld: "Zudem ignoriert sie die Tatsache, dass das atomare und fossile Zeitalter vorbei ist." Trotz besserem Wissen setze Schwarz-Gelb in Berlin weiter auf eine Technologie, bei der entscheidende Fragen wie die Endlagerung des Atommülls ungelöst seien.



"Damit wird ein Weg fortgesetzt, der in unverantwortlicher Weise die Schöpfung gefährdet und die Nutzung und den Ausbau erneuerbarer Energien behindert", rügte der leitende Theologe der viertgrößten evangelischen Landeskirche in Deutschland. "Wir haben eine Verantwortung vor Gott, unseren Mitmenschen und künftigen Generationen", mahnte Buß, der zu den Spitzenvertretern der bundesweiten Klima-Allianz gehört. Er kündigte an: "In diesem Sinne wird die Stimme der evangelischen Kirche in der Energiedebatte auch künftig zu hören sein."



Mit deutlicher Kritik reagiert der Katholische Deutsche Frauenbund (KDFB) auf die vom Bundestag beschlossene Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke. "Wir halten es nicht für vertretbar, dass eine Laufzeitverlängerung verabschiedet wird, ohne vorher die Entsorgung und Endlagerung von Atommüll eindeutig zu klären", sagte KDFB-Vizepräsidentin Beate Born am Donnerstag in Köln.



Der weiter anfallende Atommüll ohne eine gesicherte Endlagerung bilde für nachfolgende Generationen ein erhöhtes Risiko. Daher stehe die am Donnerstag getroffene Entscheidung des Parlaments im Widerspruch zu einer generationengerechten und nachhaltigen Politik.



Der KDFB erklärte, dass er seit 2008 von der Bundesregierung immer wieder ein Klimaschutzprogramm gefordert habe, das einen zügigen Ausbau von erneuerbaren Energien sicherstellt und am Ausstieg aus der Atomenergienutzung festhält. "Mit Blick auf heutige und zukünftige Generationen müssen der Ausbau regenerativer Energien ebenso wie Anreize und Maßnahmen zur Energieeinsparung und dezentrale Energieversorgungsstrukturen im Mittelpunkt der Diskussionen und Konzepte stehen", heißt es in einem kürzlich gefassten Beschluss der KDFB-Bundesdelegiertenversammlung. Der KDFB hat nach eigenen Angaben bundesweit 220.000 Mitglieder.