Neu eröffnetes Kölner Schnütgen Museum zeigt Kunstschätze des Mittelalters

Himmlisches Jenseits und irdisches Sterben

Mit Fliegen und Larven ist der verwesende Leichnam besetzt, Frösche und Echsen haben sich auf ihm niedergelassen. Die kleine Elfenbeinschnitzerei aus der Westschweiz zeigt kein schönes Motiv, und doch war das "Tischsargerl" von 1520 für den täglichen Anblick gedacht. Als Mahnung für die Lebenden und Gewöhnung an den Tod in Zeiten der Pest, sagt die Direktorin des Kölner Museum Schnütgen, Dagmar Täube. Irdisches Sterben und himmlische Jenseitsvorstellungen seien zentrale Themen des Mittelalters und seiner Kunst.

Autor/in:
Gabriele Fritz
 (DR)

Das Museum Schnütgen, das zu den weltweit bedeutendsten Häusern für die Kunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit zählt, öffnet am Samstag nach einer rund einjährigen Umbauzeit wieder seine Pforten. In der sanierten romanischen Kirche Sankt Cäcilien sowie im renovierten Anbau aus den 50er Jahren und einem neuen Erweiterungsbau zeigt das Haus seine Schätze: Schmuck alter Kirchenbauten, Heiligenskulpturen, Schnitzaltäre, Elfenbeinschnitzereien, Silberschätze und Glasfenster.



Am 26. Oktober begeht das Museum zudem mit einem Festakt und einem Konzert mit mittelalterlicher Musik sein 100-jähriges Bestehen. Zu hören ist die Musik eines liturgischen Stundenbuchs: des "Antiphonars" von 1520 von Anna von Hachenberch. Das frisch restaurierte Werk auf Pergament wurde Seite für Seite fotografisch erfasst. Dank rekonstruierter Notenschrift und Texte werden die Lieder erstmals für neuzeitliche Ohren zu hören sein.



Rund 2.000 Objekte des Hauses, darunter noch nie gezeigte Bestände, können nun wieder in der Atmosphäre der mittelalterlichen Kirche besichtigt werden. Auch der neue Erweiterungs- und Verbindungsbau zum benachbarten völkerkundlichen Rautenstrauch-Joest-Museum verschafft neue Einblicke in die hohe Handwerkskunst und die Fantasie mittelalterlicher Künstler: Zu sehen sind Steinschnitzereien mit Pflanzen und Fabelwesen sowie die umfangreichen Glasfensterbestände des Hauses.



Zum Teil von hinten beleuchtet, zum Teil durch natürliches Tageslicht erhellt, können Besucher auf Augenhöhe die feine Technik mittelalterlicher Glasmaler bestaunen. Nur aus nächster Nähe sind etwa die Tränen auf den Gesichtern der Menschen sichtbar, die den Tod Jesu am Kreuz beklagen. Das erstmals öffentlich gezeigte Fenster stammt aus der Ratskapelle der Stadt. Die letzten 30 Jahre verbrachte es aus Geldmangel verpackt in der Restaurierungsabteilung, bevor es der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht werden konnte, wie Täube schildert.



Auch sogenannte Kabinettscheiben aus dem 15. Jahrhundert für die Privathäuser wohlhabender Bürgerfamilien zeigen das hohe technische und künstlerische Niveau der Glasmaler. Die Bilder auf kleinen runden Glasscheiben mit überwiegend biblischen Szenen geben auch Zeugnis von dem Selbstbewusstsein der Bürger in einer bedeutenden Handelsstadt.

"Im Mittelalter war Köln mit seinen 40.000 Einwohnern die größte Stadt Deutschlands", sagt Täube.



Als Pilgerzentrum besaß Köln ebenfalls Anziehungskraft. "Reliquien waren ein großer Glaubens- und Wirtschaftsfaktor", erläutert die Museumsdirektorin. Die Menschen waren von ihrer Heilskraft überzeugt. Künstler fertigten kostbare Behältnisse für die Knochen oder Textilien von Heiligen. Beeindruckendes Beispiel ist die durchsichtige, aus einem Kristallblock gefertigte Walze um 1200. Als "Ostensorium" enthielt sie einst Knöchlein eines Heiligen.



Kurios wirkende Sakralobjekte wie der Heribert-Kamm aus Elfenbein aus der Zeit von 850 bis 900 vermitteln Einblicke in kirchliche Traditionen des frühen Mittelalters: Nach dem Ankleiden ordnete sich ein Bischof mit einem solchen liturgischen Kamm nicht nur die Haare, sondern auch die Gedanken. Das Material unterstrich den hohen Rang der Kirchenmänner. "Elfenbein galt als das weiße Gold des Mittelalters und wurde mit Gold aufgewogen", sagt die Museumsdirektorin.



Das Mittelalter mit seinen Glaubensvorstellungen wirke bis heute nach und behandle Themen, die uns in einer komplexen und multikulturellen Gesellschaft beschäftigen, betont Täube. Dies fließe auch in die museumspädagogische Arbeit mit Schulklassen ein. Themen wie Jungfräulichkeit etwa hätten für viele muslimische Mädchen große Bedeutung. "Man muss weder Kunsthistoriker noch überzeugter Christ sein, um in dieses Museum zu kommen."



Die Nähe zum neu gebauten völkerkundlichen Rautenstrauch-Joest-Museum unterstreiche die Bedeutung der mittelalterlichen Kunst als Teil globaler kultureller Zeugnisse, sagt die Leiterin des Schnütgen-Museums. Die Sammlung, die einst Domkapitular Alexander Schnütgen (1843-1918) nach dem Motto "Sammelt die übrig gebliebenen Stücke, damit sie nicht zugrunde gehen" begann, hat längst den Sprung in die moderne Museumslandschaft bewältigt.



Das Museum Schnütgen ist ab 23. Oktober dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet.