Musikratspräsident wirbt für Kirchenmusik

Ahnung von etwas Wunderbarem

Seit Donnerstag widmen sich ein Kongress und Aktionstage des Deutschen Musikrates und der großen Kirchen in Berlin dem Thema «Einheit durch Vielfalt - Kirche macht Musik». Der Beitrag der Kirchen zur Musiklandschaft in Deutschland werde stark unterschätzt, kritisiert der Präsident des Deutschen Musikrates, Martin Maria Krüger.

Autor/in:
Christoph Strack
Religion und Musik gehören zusammen (DR)
Religion und Musik gehören zusammen / ( DR )

KNA: Herr Professor Krüger, was bedeutet Musik für den Menschen?

Krüger: Friedrich Nietzsche hat einmal gesagt: "Ohne Musik wäre der Mensch ein Irrtum." Sie gehört zum Leben eines jeden Menschen, mag er sich auch für unmusikalisch halten.



KNA: Singen und Musizieren die Menschen genug?

Krüger: Wenn sie das frei bestimmen könnten, würden sie das wohl tun. Aber die schulische Bildung führt sie zu wenig an Musik heran. Da fehlt es bei der Unterweisung an qualifizierten Lehrkräften und damit an Niveau. Das nimmt vielen Kindern und Jugendlichen die Chance, einen Zugang zu Musik zu finden.



KNA: Ist die Lage bei der schulischen Bildung so schlecht?

Krüger: Sie ist dramatisch. An Grundschulen fallen rund 80 Prozent des Unterrichts aus oder werden von fachfremden Kräften unterrichtet. Da ist die Misere am größten. Und Ende 2008 hat die Kultusministerkonferenz eine Empfehlung verabschiedet, wonach Musik nur noch ein Teil von "ästhetischer Bildung" sein soll. Dafür laufen die Vorbereitungen. In einigen Jahren wird dann niemand mehr sagen können, Musikunterricht falle aus, weil es ihn de facto auch kaum mehr geben wird.



KNA: Bundessozialministerin Ursula von der Leyen will bei ihrer Bildungskarte auch die Musikschulen einbinden.

Krüger: Auf jeden Fall begrüßen wir die Idee der Bildungskarte. Und wir signalisieren der Ministerin unsere Bereitschaft, konzeptionell mitzuarbeiten. Wenn aus dieser Idee ein Erfolg werden soll, müssen die Verbände in diesem Bereich einbezogen werden und mitziehen.



KNA: Dabei kämpfen immer mehr Musikschulen mit Kürzungen...

Krüger: Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily hat einmal gesagt: "Wer Musikschulen schließt, gefährdet die Innere Sicherheit." Ich möchte hinzufügen: Er gefährdet die Gesundheit, er gefährdet den Lebenswert der Gesellschaft. Deutschland hat traditionell eine große Zahl hervorragender Musikschulen. Wenn es da Ausfälle gäbe, wäre das von elementarer Bedeutung. Und die Gefahr besteht. Wer meint, öffentliche Musikschulen einfach in private Einrichtungen umwandeln und damit die Tarifbindung unterlaufen zu können, irrt. Das Niveau der Lehrer wird allgemein nachlassen, begabtere Kräfte entscheiden sich dann gegen diesen Weg.



KNA: Deutschland diskutiert in diesen Wochen viel über Integration. Kann Musik zu deren Gelingen beitragen?

Krüger: Sie tut das ganz von selbst. Wenn Menschen zum Musizieren zusammenkommen, stiftet das schon Gemeinschaft. Da gilt es also, Angebote gezielt so zu gestalten, dass sie Menschen und Kulturen zusammenbringen. Bei Volksliedern kann das im Übrigen genauso gelingen wie bei Instrumentalmusik.



KNA: Ab Donnerstag befassen Sie sich bei einem großen Kongress mit dem Thema Kirchenmusik. Welchen Rang hat sie in der Musiklandschaft?

Krüger: Auf jeden Fall ist ihre Bedeutung viel höher, als es den meisten Menschen bewusst ist. Selbst jene, die regelmäßig in die Kirche gehen, ahnen das oft nicht. Deshalb wollen wir stärker darauf aufmerksam machen. Die Kirchen sind nach der öffentlichen Hand der größte Kulturträger in Deutschland. Dazu trägt die Kirchenmusik bei.  Ein Beispiel: In den Kirchen gibt es mindestens 30.000 Chöre in Deutschland. Diese breite Vielfalt ist enorm wichtig für die kulturelle Landschaft. Und nicht zuletzt die musikalische Arbeit der Kirchenmusikerinnen und -musiker in den Tausenden kirchlicher Kitas und Kindergärten hilft bei der Wahrung des kulturellen Erbes.



KNA: Ist Kirchenmusik vor allem Teil der Verkündigung?

Krüger: Sie ist weit mehr als bloße Verkündigung. Sie ist wirklich auch Wahrung kulturellen Erbes. Und egal ob Tradition wie Gregorianik und Bach-Kantaten oder moderne Kompositionen und Gospel: Musikalische Angebote werden auch von Nichtchristen, von Nichtglaubenden oder Menschen aus einem anderen Kulturkreis wahrgenommen. Ich kenne selbst einen kirchlichen Kinderchor, in dem auch einige Hindus und Muslime mitsingen. Musik kann eine Brücke sein. So wird sie in Zukunft nicht nur aus kirchlicher Sicht eine größere Rolle spielen müssen.



KNA: Warum hat Musik in den Kirchen eine solche Stellung?

Krüger: Letztlich ist der Gottesdienst stets ein Ort der Musik. Die Menschen gehen vielleicht nicht in die Kirche, weil sie singen wollen - aber wenn sie hingehen, singen sie. Das ist doch wunderbar. Und es wird doch viel zu wenig wahrgenommen. Denn Religion und Musik gehören zusammen. Vom ersten Moment an - denken Sie beispielsweise an König David mit der Harfe - gehört Musik zum Kult. Und ich bin überzeugt: Auch wer sich als Atheist versteht, erhält durch Musik eine Ahnung von etwas Wunderbarem, das über den Alltag und die materielle Sphäre hinaus verweist.



KNA: Sind sich die Kirchen der Chancen und Verpflichtungen bewusst, die damit einhergehen?

Krüger: Es ist jedenfalls alarmierend, dass zu wenig begabte junge Menschen Kirchenmusik studieren. Da gibt es einen Trend. Selbst wenn noch Arbeitsplätze in diesem Bereich da wären, gibt es irgendwann nicht mehr genug ausgebildete Kirchenmusiker. Das liegt an schlechten Arbeitsverträgen, an der finanziellen Einstufung und auch an Überlastung: Im Zuge der Zusammenlegung von Gemeinden sind auch einzelne Kirchenmusiker für immer mehr Gemeinden verantwortlich. Eine nachhaltige, die Liturgie fördernde Arbeit wird da immer schwerer.