Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Donnerstag) sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, "es wäre ein wichtiges Signal an die vier Millionen Muslime in Deutschland, wenn der Staat den Islam als Religionsgemeinschaft anerkennt". Es gelte jetzt den Dialog mit den muslimischen Dachverbänden zu forcieren, um die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. "Der Islam braucht eine faire Chance in Deutschland", forderte Wiefelspütz.
Für Integration förderlich
Ähnlich äußerte sich der integrationspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Memet Kilic, in der Zeitung. "Die Anerkennung des Islam als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft würde den Muslimen das Gefühl vermitteln, in Deutschland willkommen und angekommen zu sein", so der Grünen-Politiker. Für die Integration könne das nur förderlich sein.
Die aktuelle Debatte in der Union um die Rolle des Islam in Deutschland bewirke leider das Gegenteil. "Die Union muss ihre neurotische Selbstbeschäftigung schleunigst beenden", meinte Kilic.
Wiefelspütz attestierte CDU und CSU, "beim Thema Integration die Debatten von vorgestern zu führen". Der Islam sei unwiderruflich und unbestreitbar ein Teil Deutschlands.
Auslöser war Rede des Bundespräsidenten
Auslöser für die neue Islam-Debatte in Deutschland war die Rede von Bundespräsident Wulff zum Tag der Deutschen Einheit. Am 3. Oktober hatte Wulff unter anderem gesagt: "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.
Während die Rede vielfach positiv aufgenommen wurden, löste sie in den Reihen von CDU und CSU auch Widerspruch aus. "Unsere Grundwerte gründen klar in der christlich-abendländischen Tradition", betonte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) in der "Süddeutschen Zeitung". Es gebe "überhaupt keinen Anlass, den Islam in unsere Werteordnung zu integrieren". Deutschland erwarte von jedem, dass er sich voll integriere in die Gesellschaft, unabhängig von Herkunft oder Religion. "Deutschland will aber nicht den Islam integrieren, sondern seine kulturelle Identität bewahren", sagte Herrmann.
Religiöse Wurzeln liegen im Christentum und im Jugendtum
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) stellte sich hinter den Bundespräsidenten. "Seine Rede war ein Bekenntnis zu den Menschen muslimischen Glaubens, die hier leben und leben wollen", sagte Röttgen der "Passauer Neuen Presse". Klar sei aber - und das habe Wulff auch gesagt: "Deutschlands religiöse und kulturelle Wurzeln liegen im Christentum und im Judentum." Distanziert äußerte sich auch der stellvertretende Unions-Fraktionschef Günter Krings (CDU). "Der Islam ist Teil der Wirklichkeit hier, aber er zählt nicht zu der traditionellen, gewachsenen Kultur in Deutschland", sagte er der "Süddeutschen Zeitung": "Es werden innerhalb des Islam auch Werte vertreten, die ich nicht in der deutschen Kultur sehen will, etwa zur Stellung der Frau in der Gesellschaft."
Auf Staatskosten Religionsunterricht
Würde der Islam als Religionsgemeinschaft den christlichen Kirchen gleichgestellt, zöge das eine Reihe von Vorteilen nach sich. Zum Beispiel das Recht, durch den Staat Steuern für eigene Zwecke einziehen zu lassen oder auf Kosten des Staates Religionsunterricht in Schulen zu erteilen.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, sagte am Donnerstag im Sender SWR 2, in einigen Jahrzehnten werde man von einer "christlich-jüdisch-islamischen Kultur in Deutschland" sprechen. "Im Moment sehen bestimmte Politiker darin aber noch den Untergang der Bundesrepublik."
Schichtwechseldrang ist groß
Zur Lage von Migranten sagte Kolat, vielen von ihnen gehe es besser als oft angenommen. Die Schulabschlüsse von Jugendlichen würden besser. Auch sei "der Schichtwechseldrang bei den türkischen und arabischen Unterschichten" viel größer als bei deutschen. - An diesem Donnerstag debattiert der Bundestag über den Bericht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Maria Böhmer, zur Lage von Ausländern in Deutschland.
Anerkennung des Islams als Religionsgemeinschaft
Ein umstrittenes Signal
In der Debatte um die Rolle des Islam in Deutschland haben sich SPD und Grüne dafür ausgesprochen, den Islam staatlich als Religionsgemeinschaft anzuerkennen und damit rechtlich den christlichen Kirchen gleichzustellen. Unions-Politiker gehen dagegen auf Distanz.
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