Die Rede Erzbischof Zollitschs zur Debatte um die Ausrichtung der Union

«Das Christliche ist ein Rahmen für alle Strömungen der CDU»

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, hat die Unionsparteien vor dem Anspruch einer «Deutungshoheit über das Christliche gewarnt». Die Partei habe sich unter das «C» gestellt, sagte er am Montag in Berlin. Damit habe sie ein Alleinstellungsmerkmal, müsse sich aber auch immer wieder einer externen Prüfung aussetzen. Zollitsch äußerte sich bei einem Kongress der Bundestags-Unionsfraktion zum christlichen Menschenbild. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert wesentliche Teile seiner Rede:

 (DR)

"(...)Auch nach Fertigstellung der neuen Grundsatzprogramme ist die Debatte um den politischen Kurs der Union nicht abgerissen. Mit zuverlässiger Regelmäßigkeit kommen Diskussionen auf, ob ihr Kurs nicht zu wirtschaftsliberal, zu sozialdemokratisiert oder ein andermal zu wenig konservativ ist. Das neue Grundsatzprogramm der CDU formuliert: "Die CDU hat konservative, liberale und christlich-soziale Wurzeln." Diese drei geistesgeschichtlichen Strömungen werden gemeinhin als die Quellen der Union angesehen. Es ist mir jedoch wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese geistesgeschichtlichen Wurzeln nicht einfach nebeneinander stehen, sondern einer näheren Erläuterung und wechselseitigen Zuordnung

bedürfen:



Gerade in der derzeitigen Diskussion, die Union vernachlässige ihren konservativen Flügel, wird dies oft mit einer mangelnden Berücksichtigung des Christlichen innerhalb der CDU in Verbindung gebracht. Wer so argumentiert, verkennt jedoch, dass die Gleichsetzung von "christlich" und "konservativ" keinesfalls zutrifft. Es wird den christlichen Wurzeln der Union nicht gerecht, wenn man sie lediglich als soziales Korrektiv zu einer wirtschaftsliberalen Position, als gesellschaftspolitischen Gegensatz zu einer Liberalisierung beispielsweise der Familienpolitik oder als universale Idee gegenüber einem verengten Konservatismus verstehen würde.



Das Christliche ist vielmehr ein Rahmen, ja ein Nährboden, der die Grundlage für alle Geistesströmungen in der CDU darstellt. Es hat eine integrierende Funktion. Die aus dem christlichen Menschenbild abgeleiteten Politikvorstellungen integrieren sowohl die konservativen als auch die liberalen und sozialen Ideen. Eine am christlichen Menschenbild orientierte Politik ist konservativ, weil sie das Leben des Menschen von seinem Anfang bis zum Ende schützt und bewahrt; sie ist konservativ, wo sie sich für die Bewahrung der Schöpfung einsetzt. Sie ist liberal, das heißt der Freiheit verpflichtet, weil sie die Würde des Menschen, die in seiner Gottesebenbildlichkeit gründet, achtet, ihm deshalb freies Handeln ermöglicht und Vertrauen in den Menschen und seine Eigenverantwortung setzt. Sie ist sozial, weil sie, dem Gebot Jesu folgend, die Schwächeren nicht am Rande stehen lassen kann, sich für Verfolgte und Benachteiligte einsetzt.



Es wird deutlich: eine auf dem christlichen Menschenbild basierende Politik lässt sich nicht verengen in konservative, liberale und soziale Ausrichtungen. Sie umfasst vielmehr all dies, weil sie sich an Jesus Christus orientiert, der kein rückwärtsgewandter Sozialromantiker war, sondern mit allen damit verbundenen Konsequenzen den Menschen in den Mittelpunkt gestellt hat!



Der Reichweite des Christlichen war sich die Union bei ihrer Gründung ganz und gar bewusst: denn das verbindende Element in ihrem Parteinamen stellen weder Konservatismus noch Liberalismus dar. Die Partei hat sich vielmehr unter das "C" gestellt. Mit diesem Anspruch des Christlichen hat sich die Union ein Alleinstellungsmerkmal unter den großen deutschen Parteien gegeben. Zweifelsohne: Die Zeiten - falls es sie jemals gab -, in denen sich Christen nur in der Union engagiert haben, sind längst passe. Auch wir Kirchen unterhalten zu Recht zu nahezu allen Parteien und den darin engagierten Christen gute Beziehungen. Auch die CDU hat im Grundsatzprogramm "Freiheit und Sicherheit" festgehalten: Wir wissen, "dass sich aus christlichem Glauben kein bestimmtes politisches Programm ableiten lässt."



Und trotzdem hat sich die Union mit ihrem Selbstanspruch des Christlichen immer wieder einer externen Prüfung auszusetzen. Denn die Deutungshoheit über das Christliche können die Unionsparteien nicht als eine interne Angelegenheit betrachten und für sich selbst in Anspruch nehmen. Die Bibel als unverrückbare Grundlage unseres Glaubens und die christliche Überlieferung stehen außerhalb des Einflussbereichs der Partei. Die Wurzel Ihrer Partei haben Sie deshalb nicht in sich selbst; Sie bekommen in der Heiligen Schrift, im Hören auf Jesus Christus, im Miteinander mit den Kirchen, in denen der christliche Glaube gelebt wird, zusätzlich von außen Impulse.



(...)



Dies bedeutet jedoch umgekehrt nicht, dass die Kirchenleitungen bestimmen dürften, was im Detail christliche Politik ist. Bischöfe sind nicht die besseren Politiker und kirchliche Stellungnahmen sind keine Wahlprogramme. "Politik ist etwas anderes als Religion und gewiss nicht die schlichte Verlängerung von Religion mit anderen Mitteln", formulierte es Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert.



Eine von der römischen Kongregation für die Glaubenslehre herausgegebene lehrmäßige Note zu einigen Fragen über den Einsatz und das Verhalten der Katholiken im politischen Leben vom 24.

November 2002 sagt dazu: "Es ist nicht Aufgabe der Kirche, konkrete Lösungen - oder gar ausschließliche Lösungen - für zeitliche Fragen zu entwickeln, die Gott dem freien und verantwortlichen Urteil eines jeden überlassen hat." Die Kirchen sorgen eher für Maßstäbe, an denen sich eine Politik orientieren sollte, die sich in besonderem Maße am christlichen Menschenbild ausrichtet. Es ist die Aufgabe und die Verantwortung der Politiker, die sich dem christlichen Menschenbild verpflichtet fühlen, daraus konkrete politische Entscheidungen abzuleiten. Das ist eine anspruchsvolle und mitunter komplizierte Tätigkeit, die immer wieder Kompromissbereitschaft fordert und doch fragen muss, wo es Grenzen gibt, die nicht über-, und auch nicht unterschritten werden können. (...)



Denn, das scheint mir wichtig hervorzuheben: eine Politik, die auf einem christlichen Menschenverständnis gründet, ist keine Klientelpolitik für die Christen in unserem Land. Vielmehr profitieren alle Menschen davon, wenn aus dieser Geisteshaltung heraus Politik betrieben wird! (...)"