Münchens Alt-OB Vogel und der Eucharistische Weltkongress 1960

"Ein Schritt zurück in die Völkerfamilie"

Vor 50 Jahren fand in München der 37. Eucharistische Weltkongress statt. Menschen aus aller Welt strömten zur bis dahin größten Massenveranstaltung der Bundesrepublik in die bayerische Landeshauptstadt. Hans Jochen Vogel war bereits da, der SPD-Politiker und Katholik war damals gerade Oberbürgermeister von München geworden.

 (DR)

KNA: Herr Vogel, welche Erinnerungen haben Sie an den Kongress?
Vogel: Ich war 34 Jahre alt, als ich am 1. Mai 1960 das Amt des Münchner Oberbürgermeisters antrat. Der Kongress war das erste große Ereignis meiner Amtszeit. Neben dem beeindruckenden Schlussgottesdienst auf der Theresienwiese kann ich mich vor allem an die Begegnung mit dem päpstlichen Legaten, Kardinal Gustavo Testa, erinnern. Er war ein offener und freundlicher Gesprächspartner.

KNA: Sie haben damals die Gäste begrüßt ...
Vogel: Im Alten Rathaussaal gab es einen städtischen Empfang für den päpstlichen Legaten, an dem auch an die 200 Bischöfe und Kardinäle sowie eine Vielzahl von Ehrengästen teilgenommen haben. In meiner Rede wies ich auf die Beachtung des Kongresses hin, die dieser damals auch außerhalb der katholischen Welt fand. Kirche wirke am eindrucksvollsten in die Öffentlichkeit hinein, wenn ihr Zeugnis aus dem Kernbereich ihres Glaubens kommt, sagte ich.

KNA: Was wollten Sie damit noch andeuten?
Vogel: Das war eine leichte Distanzierung von den damals noch üblichen Wahlhirtenbriefen der katholischen Kirche. Diese wurden am Wahlsonntag in der Kirche verlesen, um den Menschen zu sagen, wen sie zu wählen hätten. In meiner Ansprache betonte ich auch den ökumenischen Gedanken. Weiter hob ich hervor, dass die Kirche in der Gesellschaft präsent sein soll. Es wäre falsch, sich nur auf eine gegenüber der Welt abgeschottete Gemeinde zurückzuziehen. Solche Stimmen gibt es ja heute auch wieder.

KNA: Wie viele Katholiken gab es damals in der Millionenstadt München?
Vogel: Der Anteil dürfte bei etwa 70 Prozent gelegen haben. Die Protestanten würde ich auf über 20 Prozent schätzen. Der Rest waren Mitglieder kleinerer Kirchengemeinschaften oder solche, die keiner Kirche angehörten. Beim städtischen Empfang war übrigens der bayerische evangelische Landesbischof Hermann Dietzfelbinger zugegen. Das war damals nicht selbstverständlich.

KNA: Wie muss man sich die Stimmung in der Stadt vorstellen?
Vogel: Sie war in diesen sieben Tagen von dem Kongress erfüllt. Damals lief ja der Verkehr von Straßenbahnen und Autos noch über den Marienplatz im Zentrum. Es gab keine Fußgängerzone. Bei großen Veranstaltungen wie der nachmittäglichen Andacht vor dem Rathaus musste der Verkehr ausgesperrt werden. Der Kongress hatte Vorrang. Außerdem war es damals noch üblich, auch weite Strecken zu Fuß zurückzulegen.

KNA: War die Stadt 15 Jahre nach Kriegsende als Gastgeberin des Kongresses in der Welt wieder rehabilitiert?
Vogel: Das war ein wichtiger Gesichtspunkt, auch wenn er nicht im Vordergrund stand. Aber jeder, der ein bisschen denken konnte, wusste: Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass sich 15 Jahre nach dem Krieg in München eine Weltkirche versammelt. Den von den Nazis vergebenen Titel "Hauptstadt der Bewegung" hatten die Leute ja noch im Kopf. Nach den schrecklichen Verbrechen in der Zeit des NS-Gewaltregimes war die Veranstaltung deshalb ein Schritt für die Rückkehr Münchens sowie Bayerns und der Bundesrepublik in die Völkerfamilie.

KNA: Zwölf Jahre später war die Welt 1972 zu den Olympischen Spielen wieder zu Gast in München. Hatte man aus dem Kongress Erfahrungen mitgenommen?
Vogel: Ja, vor allem das Selbstbewusstsein, dass die Stadt in der Lage sein würde, so etwas zu meistern. Zum anderen konnte sich München wieder als weltoffene und heitere Stadt präsentieren, die Kultur und Sport miteinander verbindet. Insofern liegen beide Ereignisse schon auf einer Linie.

Das Gespräch führte Barbara Just.