Zehn Jahre lang leitete Joachim Gauck die Aufarbeitung der Stasiakten

Gegenkandidat ohne große Chancen

Bei seinem Abschied als Chef der Stasiunterlagenbehörde sagte Joachim Gauck vor zehn Jahren, Bundespräsident wolle er nicht werden. Ein Mecklenburger wisse um seine eigenen Grenzen. Nun versucht er es doch. Als gemeinsamer Kandidat von SPD und Grünen tritt der frühere DDR-Bürgerrechtler am 30. Juni in der Bundesversammlung gegen den niedersächsischen Ministerpräsidenten und CDU-Bundesvize Christian Wulff an. Seine Chancen, gewählt zu werden, sind äußerst gering. Aber der redegewandte Begründer der Gauck-Behörde wird vor der Wahl öffentlich von sich hören lassen.

 (DR)

Der im Kriegsjahr 1940 als Kapitänssohn in Rostock geborene Joachim Gauck wollte in der DDR eigentlich Journalist werden, erhielt aber keinen Studienplatz für Germanistik. Kein Wunder, hatte er sich doch der Pionierorganisation ebenso verweigert wie der Jugendorganisation «Freie Deutschen Jugend». Also studierte er nach dem Abitur evangelische Theologie.

1965 trat er in den Dienst der mecklenburgischen Landeskirche. 1970 Pfarrer im Rostocker Neubaugebiet Evershagen, übernahm er zwölf Jahre später die Kirchentagsarbeit in Mecklenburg. In diese Zeit fielen seine ersten unfreiwilligen Kontakte zum DDR-Staatssicherheitsdienst. Wegen seiner kritischen Haltung in Umwelt- und Menschenrechtsfragen begann sich dieser für den Kirchenmann zu interessieren.

Im stürmischen Wendejahr 1989 engagierte sich Gauck im Neuen Forum. Dort kümmerte er sich um die Aufdeckung des Überwachungsapparates der DDR, der zum Ende 89 000 hauptamtliche und 173 000 inoffizielle Mitarbeiter beschäftigte. Dieses Aufgabenfeld sollte Gauck die folgenden elf Jahre nicht mehr loslassen.

In der am 18. März 1990 frei gewählten DDR-Volkskammer leitete er den Sonderausschuss zur Auflösung der Stasi, am 24. August nahm das Parlament das Gesetz über den Umgang mit den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) an. Am Tag vor dem Vollzug der deutschen Einheit wählte die Volkskammer Gauck zum «Sonderbeauftragten» für die Stasi-Unterlagen. Einen Tag später bestätigte ihn die Bonner Bundesregierung in diesem Amt für ganz Deutschland. Ein gutes Jahr sollte es noch dauern, bis das Stasi-Unterlagengesetz fertig war. Gauck wurde zum Bundesbeauftragten.

1995 für eine zweite Amtszeit durch den Bundestag wiedergewählt, übte Gauck sein Amt überaus streitbar aus. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) etwa, dessen von ihm selbst eingeräumte Kontakte zur Stasi jahrelang die Potsdamer und bundesdeutsche Politik beschäftigten, fühlte sich von Gauck ungerecht behandelt. Konflikten also geht der streitbare Intellektuelle nicht aus dem Weg.