Die Weltgesundheitsversammlung diskutiert die Schweineggrippe

Panikmacher aus Genf

Trotz Millionen Erkrankungen, trotz der rund 18.000 Menschen, die die Schweinegrippe tötete: Viele Gesundheitsexperten werfen der Weltgesundheitsorganisation "Panikmache". Kritik, Konsequenzen und die Rolle der Pharma-Konzerne diskutiert die WHO zur Zeit in New York.

Autor/in:
Jan Dirk Herbermann
 (DR)

Margaret Chan gab sich kampfbereit. Die Generaldirektorin der WHO ging das heikle Thema Schweinegrippe frontal an. "Wäre etwas schief gegangen, dann sähe unsere Agenda heute ganz anders aus", sagte sie. Auf dem Podium im großen Saal des Genfer UN-Gebäudes sprach Chan Anfang der Woche zu Abgesandten der 193 WHO-Mitgliedsländer. Bis Freitag, bis zum Ende der Weltgesundheitsversammlung 2010, beschäftigen sich die Delegierten der höchsten WHO-Instanz auch mit der Frage, ob die WHO-Chefin auf den Ausbruch der Schweinegrippe im Frühjahr 2009 angemessen und verantwortungsvoll reagiert hat.

Trotz Millionen Erkrankungen, trotz der rund 18.000 Menschen, die das H1N1-Virus tötete: Viele Gesundheitsexperten werfen der WHO-Chefin und ihrem Team "Panikmache" vor. Das Virus H1N1 habe nie die Kraft gehabt, die vielfach beschworene weltweite Katastrophe auszulösen. Millionen Impfdosen gegen die Schweinegrippe lagerten nun ungenutzt in den Depots.

Der SPD-Politiker und frühere Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg wettert besonders laut. Für Wodarg ist der Umgang mit der Schweinegrippe "einer der größten Medizinskandale des Jahrhunderts". Wodarg erzwang Ende Januar eine Sondersitzung des Europarates zum Thema. Seine Vorwürfe an die Adresse der WHO: Die Organisation mache mit der Pharma-Industrie gemeinsame Sache, um möglichst viel Impfstoff zu verkaufen. WHO-Chefin habe mehr als eine Milliarde US-Dollar von den Regierungen der UN verlangt im September 2009. Und: Chan habe voreilig die höchste Alarmstufe für weltweite Seuchen ausgerufen.

"Wir haben wohl übertrieben"
Tatsächlich stuften Chan und ihre Berater rund zwei Monate nach Bekanntwerden des Grippe-Ausbruchs die Krankheit als "Pandemie" ein. Wodarg bemängelt: Zwar habe sich das Virus schnell ausgebreitet. Aber: Die WHO habe die vergleichsweise harmlose Schweinegrippe zu einer globalen Bedrohung hochgespielt. Normale Grippewellen töten laut Wodarg und anderen Experten schon in einzelnen großen Ländern pro Jahr bis zu 20.000 Menschen.

Die Politik der WHO habe "hysterische Reaktionen" bei Medien, Regierungen und in der Öffentlichkeit heraufbeschworen. Das sagt der Medizinprofessor Ulrich Keil von der Universität Münster. Selbst WHO-Mitarbeiter geben hinter vorgehaltener Hand zu: "Wir haben wohl übertrieben."

Profiteure waren die Pharma-Konzerne
Die Kritiker der WHO sind sich einig: Der große Gewinner der Schweineggrippe ist "Big Pharma". Weltweit operierende Firmen wie die französische Sanofi Aventis hätten für Hunderte von Millionen US-Dollar ihre Impfstoffe verkauft. Impfstoffe gegen eine Seuche, die keine war. "Die Angst-Kampagne wirkte", fasst Fachmann Wodarg zusammen.

Die WHO selbst verteidigt sich: Man habe die Krise um die Schweinegrippe "neutral und unparteiisch" gemanagt, beteuert Keiji Fukuda, der Grippe-Beauftragte der UN-Organisation. Um ihren Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, ordnete WHO-Chefin Chan eine Untersuchung an. Seit April nimmt ein Team von 29 Experten das heikle Thema unter die Lupe. Das endgültige Ergebnis will die Kommission der nächsten Weltgesundheitsversammlung 2011 auf den Tisch legen.

WHO-Chefin Chan verspricht eine "ehrliche, kritische, transparente, glaubwürdige und unabhängige" Arbeit der Fachleute. Nur: Viele der Kommissionsmitglieder verdingten sich bereits früher bei der WHO, so wirkte der Vorsitzende Harvey Fineberg als WHO-Berater. Zudem muss Fineberg gestehen, dass im Untersuchungsausschuss kein ausreichendes Wissen über einen Schlüsselbereich der Krise vorhanden ist. Fineberg sagt: "So weit ich weiß, gibt es in dem Ausschuss kein Mitglied mit einer tiefen Expertise über Verarbeitung und Produktion von Impfstoffen."