Der libanesische Patriarch Nasrallah Sfeir wird 90 Jahre alt

"Vater der Nation"

Die maronitischen Patriarchen sind im Libanon so etwas wie "Väter der Nation". Umso mehr gilt das für Kardinal Nasrallah Boutros Sfeir, der bereits seit 24 Jahren die Geschicke seiner Kirche leitet - und gleichzeitig die komplexe politische Landschaft im Libanon mitgestaltet. Heute wird der Führer der mit Rom unierten Ostkirche 90 Jahre alt.

 (DR)

Als Seine Seligkeit Kardinal Nasrallah Boutros Sfeir im Jahr 2007 gedrängt wurde, eine Liste mit möglichen Präsidentschaftskandidaten aufzustellen, war das kein ungewöhnlicher Schritt. Sfeirs zierliche Gestalt täuscht nur auf den ersten Blick über das politische Gewicht des als humorvoll und geistreich beschriebenen Kirchenmannes hinweg. Geboren am 15. Mai 1920 in der malerischen Berglandschaft Kesrouan nördlich von Beirut, studierte der Priesteramtskandidat in seiner Heimat Theologie und Philosophie. Nach seiner Weihe 1950 unterrichtete er zunächst zehn Jahre lang an einer Schule.

Die kirchliche Karriere Sfeirs begann 1956 mit seiner Nebentätigkeit als Sekretär des Patriarchen. 1961 wurde er zum Generalvikar ernannt, im Jahr drauf zum Bischof geweiht. 1974 wurde er Erzbischof von Sidon, 1986 wählte ihn die Synode zum «maronitischen Patriarchen von Antiochien und dem Ganzen Osten». Den Kardinalstitel verlieh ihm Papst Johannes Paul II. 1994 als drittem Patriarchen in der knapp 1.400-jährigen Geschichte der Maroniten.

Der politische Einfluss der libanesischen Patriarchen hat seine Wurzeln im Osmanischen Reich, als der maronitische Führer offizieller Ansprechpartner für die Belange der Christen war. Auch mit der jungen Republik war das religiöse Oberhaupt der einstigen christlichen Mehrheit im Libanon eng verbunden. Obwohl der Anteil der Christen durch Abwanderung und geringere Geburtenrate in den vergangenen Jahrzehnten gegenüber dem der Muslime deutlich gesunken ist, bleibt der Einfluss des Patriarchen groß.

Das liegt nicht zuletzt am teils diskreten, teils aber auch offensiven Auftreten Sfeirs in der Öffentlichkeit. Zumeist beschränkt er sich auf grundsätzliche Mahnungen, wie etwa während der lähmenden Vakanz auf dem Präsidentenstuhl 2007/2008, als er die streitenden Parteien zum Handeln aufforderte. Der Kompromissmann Michel Sulaiman, auf den man sich schließlich einigte, stand übrigens nicht auf jener Kandidatenliste, die Sfeir auf Drängen Frankreichs vorgelegt hatte.

Der Patriarch kann deutlich werden: So forderte er Anfang Mai, jedes Land dürfe «nur von einer Armee» kontrolliert werden - ein Seitenschlag gegen die Hisbollah-Miliz. In der Weihnachtspredigt 2005 legte er dem anwesenden pro-syrischen Präsidenten Emile Lahoud unverblümt den Rücktritt nahe. Im selben Jahr hatte die kirchliche Synode in einem Appell den Abzug der syrischen Truppen gefordert und dadurch die «Zedernrevolution» mit angestoßen, die die Syrer aus dem Land drängte.

Die pro-westlichen Gegner eines syrisch-iranischen Einflusses im Libanon sind dem Patriarchen dankbar für seine Stellungnahmen. Kritiker hingegen werfen ihm ungebührliche Einmischung in die Politik vor. Schwierig ist Sfeirs Lage geworden, seit der prominente maronitische Christenführer Michel Aoun 2006 auf einmal das Lager wechselte und zur pro-syrischen Opposition überging. Seitdem ist das christliche Lager gespalten.

Der Vatikan hat dem rührigen Patriarchen in allen Wirren immer den Rücken gestärkt. Dabei sieht die Kirche in Sfeir keinen rein politischen Kirchenführer: Die vom Vatikan angeregte Liturgiereform hat er energisch vorangetrieben und dadurch den zum Teil verloren gegangenen spirituellen Schatz der maronitischen Kirche wiederbelebt. Auch bei der Vorbereitung der Nahostsynode im Oktober spielt Sfeir eine gestaltende Rolle. Wenn der rüstige Senior auch nach Ansicht seiner Umgebung zuletzt «etwas müder» wirkte - an seinen Rücktritt scheint niemand ernsthaft zu denken.