Wie Spielleiter Christian Stückl den Oberammergauer Passionsspielen seinen Stempel aufdrückt

Alle zehn Jahre Veränderung

Stillstehen ist nichts für Christian Stückl. Der Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele sprudelt über vor Energie. Wenn er spricht, müssen sich die Umstehenden fast schon ducken, um nicht von seinen rudernden Armen erwischt zu werden. Nur wenn Stückl geräuschvoll einen tiefen Zug aus seiner Zigarette nimmt und den Rauch dann genüsslich wieder ausbläst, gönnt er sich ein paar Millisekunden Ruhe.

Autor/in:
Christiane Ried
 (DR)

Jetzt, kurz vor der Premiere der Passionsspiele, die zwischen dem 15. Mai und 3. Oktober wieder eine halbe Million Menschen aus aller Welt anziehen werden, soll der Vollblut-Theatermann das Bühnenbild unter die Lupe nehmen. Stückl rast auf die Bühne, wirft einen kurzen Blick auf den See Genezareth und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. «Na, also wirklich. Da tun einem ja die Augen weh! Das kann ich gar nicht ansehen!» - sprach's und verschwindet so schnell, wie er gekommen ist, wieder hinter der Bühne.

Christian Stückl ist mit dem Passionseifer in seiner Heimatstadt Oberammergau im Landkreis Garmisch-Partenkirchen groß geworden. Für ihn sei das alle zehn Jahre aufgeführte Spiel, das auf ein Pestgelübde aus dem Jahr 1634 zurückgeht und die letzten Tage im Leben Jesu zeigt , immer wieder ein «absolutes Highlight», erzählt er begeistert. «Infiziert» habe er sich schon als Jugendlicher. 1970 feierte der heute 48-Jährige seine persönliche Premiere bei den Spielen. Er spielte im Volk mit. Zehn Jahre später sang er im Chor.
«Da habe ich zum ersten Mal verstanden, was ein Regisseur ist. Also, dass da jemand den Text in die Hand nimmt, mit dem Text arbeitet, ein Bühnenbild entwirft, die Schauspieler über die Bühne scheucht», erinnert sich Stückl. Seitdem habe er nach dem Posten des Spielleiters gestrebt, wie der Regisseur bei den Oberammergauer Passionsspielen genannt wird.

Stückl gilt mit seinem Drang nach Neuem als Revoluzzer in dem tiefbayerischen Ort, in dem rund 2.500 Menschen und damit die Hälfte der Bewohner am Passionsspiel teilnehmen. Mit 24 Jahren wurde Stückl zum Spielleiter ernannt, im Jahr 2000 wurde ihm die gleiche Ehre per Bürgerbegehren zuteil: «Da hab ich mir gleich absegnen lassen, dass ich neue Kostüme und Bühnenbilder entwerfen kann», sagt Stückl, der auch Intendant des Münchner Volkstheaters ist und Regisseur beim «Jedermann» in Salzburg. Er wolle das Passionsspiel alle zehn Jahre umbauen. Diesmal sei es ihm wichtig gewesen, mit einer neuen Generation von Laienschauspielern zu arbeiten und vor allem in die Abenddämmerung hineinzuspielen. «Ich glaube, das Ganze macht nur Spaß, wenn es immer wieder Veränderungen gibt», ist Stückl überzeugt.

Eine Veränderung, die sich in den vergangenen Jahren ohne Zutun des Spielleiters ergab: Die Passionsspiele werden immer evangelischer. 1990 hat Stückl den ersten evangelischen Hauptdarsteller vorgeschlagen. «Da hat unser katholischer Pfarrer die Welt untergehen sehen», erinnert er sich. Doch dem Zuzug Fremder seit dem Zweiten Weltkrieg habe sich auch Oberammergau nicht entziehen können. «Ich selbst bin zutiefst katholisch», sagt Stückl, dessen Großmutter Protestantin war. «Wer von den Menschen stellt sich denn heute noch gegen Ökumene? Letztes Mal war nur der Judas evangelisch, dieses Jahr haben wir einen evangelischen Engel, einen evangelischen Petrus, einen evangelischen Priester und einen evangelischen Judas.» Das sei ein ganz logischer Schritt.

Über 30 Millionen Euro kostet das Passionsspektakel in diesem Jahr. Ohne eine Bürgschaft des Freistaats Bayern hätte Oberammergau seine Spiele finanziell überhaupt nicht stemmen können. «Die Amerikaner bleiben derzeit wegen der Finanzkrise aus, und es ist überhaupt nicht gesagt, dass wir einen Gewinn machen», wagt Stückl keine genaue Prognose. Einen Verlust soll es zuletzt 1934 beim 300.
Jubiläum gegeben haben.

Für Stückl sind die Passionsspiele aber mehr als ein Wirtschaftsfaktor, «es ist unser größtes soziales Event». Da sitze plötzlich der 17-Jährige mit dem 70-Jährigen bei der Probe, das ganze Dorf sei involviert. «Das ist eine totale Ausnahmezeit in Oberammergau, und die Leute lieben es.»