Die Organisation Safina hilft Menschen mit Behinderung in Damaskus

Boot für die Schwächsten

Dis heute werden Menschen mit Behinderung in arabischen Ländern ausgegrenzt. Geistige und psychische Behinderungen lösen Angst und Unsicherheit aus, Familien lehnen behinderte Kinder als Schande ab. Eine Organisation in Damaskus stemmt sich seit 15 Jahren dagegen.

Autor/in:
Karin Leukefeld
 (DR)

In einer schmalen Gasse in der Altstadt von Damaskus hängt eine farbige Kachel neben einer schweren Holztür. Zwei schwungvolle Wellen sind zu sehen. Darauf schaukelt ein Boot mit drei Menschen. "Al Safina" steht in arabischen Schriftzeichen auf der Kachel; das heißt "Das Boot" und bezeichnet eine Hilfsorganisation, die hier seit 1995 Menschen mit Behinderung hilft. Sitz der Organisation ist ein altes Damaszener Stadthaus mit Bougainville, Jasmin und Orangen im Innenhof. Gegenüber dem Brunnen lädt der Iwan, ein offener Empfangsraum, zum Essen, Ausruhen und Gespräch ein. Er ist mit herrlichen Fresken, Mosaiken und Ornamenten aus Perlmutt geschmückt: der islamische Halbmond und das christliche Kreuz friedlich nebeneinander.

Lina Kevorkian ist armenische Christin und gehört zum Freiwilligenteam von Al Safina. Sie betreut die Familien: hört zu, gibt Ratschläge, hilft bei der Arzt- oder Arbeitssuche. Gerade telefoniert sie mit einer verzweifelten Mutter, die sich über mangelnde staatliche Unterstützung und gleichgültige Ärzte beklagt.Ob es bei Al Safina nicht einen Platz für ihren Jungen geben könnte? "Die Eltern sind frustriert und überlastet, weil es für sie so wenig Hilfe gibt", seufzt Lina Kevorkian, als sie den Hörer auflegt. Derzeit haben sieben Menschen mit Behinderungen hier dauerhaft ein Zuhause gefunden. Alle sind älter als 20 Jahre und bleiben bis zum Lebensende. Betreut werden sie von jungen Leuten, die - gegen Kost und Logis - für die Dauer ihres Studiums das Leben mit den Behinderten teilen.

"Respekt und Zuwendung sind das Wichtigste"
Nur wenige Schritte entfernt vom Haus Al Safina ist das Haus "Al Mina" (Der Hafen). Hier sind die Werkstätten der Organisation, wo 20 weitere Personen mit Behinderungen unter Anleitung von Fachkräften lernen und arbeiten. Morgens wird Gymnastik gemacht; danach bereitet man gemeinsam das Frühstück zu, bevor die Arbeit beginnt. Sie schöpfen Papier, bemalen Karten oder Schmuckkartons für Olivenseife. Die Produkte werden in einem kleinen Laden und auf Basaren angeboten. Aus den Räumen klingt Lachen und Rufen; ein Mann mit von Farbe bekleckstem Kittel tritt lächelnd in die Tür und grüßt freundlich: "Willkommen." Jeder hat hier seine spezielle Geschichte von Rückschlägen und Erfolgen, sagt Lina Kevorkian: "Respekt und Zuwendung sind das Wichtigste."

Das erste bekannte Spital für Geisteskranke in der arabischen Welt wurde 765 in Bagdad gegründet. Es folgten ähnliche Einrichtungen in Damaskus, Kairo und Aleppo. Doch bis heute werden Menschen mit Behinderung in arabischen Ländern ausgegrenzt. Geistige und psychische Behinderungen lösen Angst und Unsicherheit aus. Familien lehnen behinderte Kinder als Schande ab und sperren sie weg. Seit die Frau des Präsidenten, Asma al-Assad, die wenigen Behindertenorganisationen in Syrien besucht hat, ändere sich die öffentliche Meinung langsam, meint Lina Kevorkian.

Unkonventionell und überkonfessionell
Laut Gesetz stehen mindestens zwei Prozent der Arbeitsplätze Menschen mit Behinderungen zu; aber immer gibt es Ausreden. "Es gebe keine Arbeit, heißt es, oder: die Person sei ungeeignet", beschreibt Lina Kevorkian die Probleme. "Für psychisch Behinderte ist es noch schlimmer, weil man Angst vor ihnen hat und nicht weiß, wie man mit ihnen umgehen soll." Einmal sei es Al Safina gelungen, zwei Schützlinge in einer städtischen Parkanlage als Arbeiter unterzubringen, erinnert sie sich. Das sei eine großartige Erfahrung gewesen - die wohl freilich ohne das persönliche Engagement des Verantwortlichen für die Parkanlagen kaum gelungen wäre.

Mit öffentlichen Vorträgen und Festen will Al Safina Vorurteile beseitigen, erzählt Lina Kevorkian, die oft an den Wochenenden unterwegs ist. Dass viele freiwillige Helfer sich melden, gibt ihr Hoffnung. Treffpunkt für alle ist die "Safina Messe", die jeden Dienstagabend im Kellergewölbe des Stammhauses unkonventionell und überkonfessionell gefeiert wird. "Die Priester wechseln sich ab, Freunde kommen, Interessierte und Freiwillige und alle Behinderten sind dabei. Das ist wirklich schön."