Kardinal Lehmann zu fünf Jahre Benedikt XVI.

"Ein Glücksfall"

Heute vor fünf Jahren wurde der deutsche Kardinal Joseph Ratzinger zu Papst Benedikt XVI. Der langjährige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der Mainzer Kardinal Karl Lehmann, kennt Benedikt XVI. seit vielen Jahren. Im Interview würdigt Lehmann das bisherige Pontifikat.

 (DR)

KNA: Herr Kardinal, wie haben Sie den historischen Moment damals erlebt?
Lehmann: Ich hätte nicht geglaubt, dass ein Deutscher überhaupt gewählt werden könnte. Denn die Wunden der beiden Weltkriege mit deutscher Beteiligung waren längst nicht vergessen. Manche fürchteten auch einen zu starken deutschen Einfluss auf die Kirche. Auf der anderen Seite war der heutige Papst bei seiner Wahl bereits über 20 Jahre als herausragender Theologe in Rom tätig. Durch seine Aktivitäten und vielfältigen Kontakte hatte er einen hohen Bekanntheitsgrad. Damit war er bereits ein Mann der Weltkirche und nicht einfach nur ein Deutscher. So war dann möglich, was am Anfang noch kaum einer zu denken wagte.

KNA: Wie ist Ihre Bilanz nach fünf Jahren?
Lehmann: Als Nachfolger von Johannes Paul II. hatte er wirklich schwierige Ausgangsbedingungen. Man hat sich damals im Kardinalskollegium gefragt, ob man jemanden findet, der neben diesem hohen persönlichen Ansehen und der Akzeptanz in den Medien Ähnliches - wenn auch auf seine Weise - bewirken kann. Deshalb war es ein Glücksfall, dass man einen Mann von einem solchen intellektuellen und theologischen Format bekommen konnte. Zuvor war der Papst eher ein Mann der Arbeit am Schreibtisch, dem man theologische Höhenflüge zutraute und der in persönlichen Begegnungen sowie in Gesprächen und Vorträgen sehr beeindruckte. Doch er konnte sich nach der Wahl schnell umstellen - etwa wie er Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft begegnen und auch sehr volksnah predigen konnte. Er hat rasch einen eigenen Stil entwickelt, ohne seinen Vorgänger nachzumachen.

KNA: Es gab die Sorge, er könnte ein unpolitischer Papst werden...
Lehmann: Benedikt XVI. war in brisanten Situationen, bei großen Katastrophen oder bei seiner Rede vor der UN viel präsenter und auch politisch wacher, als manche ihm zunächst zutrauten. Zugleich hat der Papst auch etwas ganz Richtiges gemacht: Er hat die Gaben, die ihm in ganz besonderer Weise verliehen sind, - die Gabe des Wortes und der Verkündigung - in den ersten Band seines Jesus-Buches und in vielen Predigten einfließen lassen. Nach vielen Aktivitäten und Reformen im nachkonziliaren Zeitalter musste er der Kirche mehr Nachdenklichkeit, Tiefe und Erneuerung vom Denken her vermitteln. Das ist und bleibt eine Gabe seines Pontifikates an die Kirche. Da ist er ganz unnachahmlich.

KNA: In punkto Ökumene erscheint Benedikt XVI. manchem als zu wenig offen.
Lehmann: Einige Dinge scheinen mir etwas schief wahrgenommen zu werden. Im Westen und auch auf der Seite der reformatorischen Kirchen verkennt man seine ökumenische Einstellung. Der Theologe Joseph Ratzinger hat besonders auch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil durch eigene Arbeiten, aber auch durch die Arbeiten seiner Schüler wie Vinzenz Pfnür oder Siegfried Wiedenhofer sehr viele Dinge in Bewegung gebracht, die damals keinesfalls selbstverständlich waren. Das war zum Beispiel die Frage, unter welchen Umständen eine katholische Anerkennung des Augsburger Bekenntnisses von 1530 denkbar wäre. Als einer der ersten hat er dazu Artikel verfasst. Er hat in Ökumenischen Arbeitskreisen mitgearbeitet und Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre einige wesentliche Grundsatzreferate gehalten. Ich glaube, Benedikt XVI. ist sehr viel ökumenischer eingestellt, als man meint. Er hat hier gewiss strenge Maßstäbe und hohe Kriterien.

KNA: Derzeit vermisst mancher klarere Worte des Papstes zu den Missbrauchsfällen in der Kirche...
Lehmann: Dieser ständige Ruf, dass der Papst nun ein eigenes Wort an Deutschland richten müsste, kommt mir manchmal etwas hysterisch vor. Denn der Papst ist der Oberhirte für die ganze Kirche. Wenn er etwas erklärt, dann spricht er immer zu allen. Ausgerechnet die Leute, die uns sonst gelegentlich vorwerfen, wir würden mit Blick auf Rom viel zu weisungsgebunden und abhängig sein, vermissen jetzt ein Wort des Papstes. Aber dieses Wort braucht man nicht zu vermissen, denn der Papst hat sich x-mal zum Missbrauch geäußert und ihn verurteilt - etwa bei seiner USA-Reise 2008 oder während seines Australienbesuchs
2008 oder bei anderen Gelegenheiten, wie etwa in dem Brief an die Kirche in Irland in diesem Frühjahr. Dinge, die einerseits fast selbstverständlich und andererseits öfter gesagt sind, muss der Papst nicht gebetsmühlenartig wiederholen - schon gar nicht auf Befehl.

Kurz vor Ostern hat der Papst auch mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz über die erschütternden Vorfälle in Deutschland gesprochen. Deshalb ist es überflüssig, dass man sich immer in dieser plumpen Art auf die Lauer legt, ob sich der Papst dann auch noch an Ostern dazu äußert. Er hat außerdem von Anfang an ein gutes und sensibles Empfinden gehabt, dass er sich nicht immer wieder zu sehr als Deutscher meldet. Weil er der Papst aller ist, muss er da eher zurückhaltend sein. Das Nötigste hat er auch in dem Brief an die Kirche in Irland mit aller Deutlichkeit gesagt. Was sollte er uns in Deutschland anderes sagen?

KNA: Anfänglich jubelten die Deutschen «Wir sind Papst». Inzwischen sind sie sehr ernüchtert...
Lehmann: Zunächst war der Titel «Wir sind Papst» in «Bild» natürlich sehr geschickt. Das entsprach durchaus der Euphorie in den ersten Tagen. Im Alltag sieht das wieder sehr viel nüchterner aus. In der Tat ist es vielleicht typisch für uns Deutsche, weil die überspannten Erwartungen doch nicht in Erfüllung gegangen sind. Aber es war auch von Anfang an deutlich, dass der Papst nicht nur uns Deutschen gehört.

KNA: Was hat er für die Weltkirche geleistet?
Lehmann: Ich bin sehr froh, dass er zum Beispiel nach Afrika gereist ist und den Kontinent so stark unterstützt hat, auch durch die Synode für Afrika. Betrachtet man die schwierige Situation des Kontinentes - die wirtschaftlich schwierige Lage, die politische Unterentwicklung, oft fehlende demokratische Strukturen, Korruption und Gewalt -, dann hat er dort sehr viel bewegt. Viele Afrikaner setzen große Hoffnung in die Kirche. Dies ist nur ein Beispiel.
Ähnliches könnte man wohl für manche Kontinente und Länder aufzeigen.

KNA: Was wünschen Sie Benedikt XVI. für die Zukunft?
Lehmann: Zunächst wünsche ich ihm Gesundheit und den Erhalt seiner Kräfte. Wenn man weiß, wie und in welchem Maß er in diesen fünf Jahren sein tägliches Pensum bewältigt hat, dann darf man sehr dankbar sein. Ich wünsche ihm vor allem auch, dass er durch seine Weisungen und seine theologische Art ein Lehrer der Kirche bleibt. Und ich hoffe, dass gewisse Pannen, unter denen das Pontifikat gelitten hat - mit den Piusbrüdern zum Beispiel oder auch die eine oder andere ökumenische Äußerung, die geschickter hätte sein können - das Bild von ihm nicht verzerren.

Interview: Angelika Prauß