Das Erdbeben in Qinghai stellt die chinesische Führung auf die Probe

Schnelle Rettungserfolge und lauernde Kritik

Ein schweres Erdbeben im Nordwesten Chinas hat mindestens 400 Menschen das Leben gekostet, etwa 10.000 wurden verletzt. Die Erdstöße der Stärke 7,1 hatten viele Menschen am frühen Morgen im Schlaf überrascht. Hilfe von außen erreicht die betroffene Region bislang kaum.

 (DR)

Das Staatsfernsehen zeigt immer wieder Straßenzüge mit Trümmerhaufen. Ratlos stehen Menschen in der nordwestlichen Präfektur Yushu vor Bergen aus Holz, Lehmziegeln und Matratzen. Vereinzelt ragen mehrstöckige Bürogebäude und tibetische Tempelbauten vor den grünen Bergen auf. «Das einst schöne Yushu lässt sich nun nur noch mit einem Wort beschreiben», sagt der Reporter in Windjacke und macht eine ausladende Handbewegung. «Es gleicht einem Ruinenberg.»

Mindestens 400 Menschen sind bei dem Erdbeben der Stärke 7.1 ums Leben gekommen. Tausende liegen noch unter den Trümmern. Chinas jüngste Naturkatastrophe könnte für die kommunistische Führung kaum brisanter sein: Die Erdbebenregion liegt an der südlichen Grenze der Provinz Qinghai und wird mehrheitlich von Tibetern bewohnt. Im angrenzenden Kreis Ganzi der Provinz Sichuan haben Tibeter in den vergangenen zwei Jahren immer wieder gegen die han-chinesische Diskriminierung demonstriert.

Staats- und Parteichef Hu Jintao weilt beim Nukleargipfel in Washington, Ministerpräsident Wen Jiabao steht für eine schnelle Reise in die Region ebenfalls nicht zur Verfügung. Um möglicher Unzufriedenheit und Unruhen vorzubeugen braucht Peking aber schnelle Rettungserfolge. Doch mangelnde Ausrüstung, zerstörte Straßen, nur langsam eintreffende Rettungskräfte und raues Wetter erschweren den Wettlauf gegen die Zeit.

Zunächst geht Chinas Führung mit kontrollierter Offenheit mit der Katastrophe um. Die staatlichen Nachrichtenagenturen bieten ständig neue Informationen. Lokale Offizielle werden mit pessimistischen Einschätzungen zu Todeszahlen zitiert. Die großen Webportale Sina und Netease drucken neben der Hauptquelle Xinhua, der staatlichen Nachrichtenagentur, auch vereinzelt Meldungen lokaler Medien. Ausgewählte Bilder sendet jedoch hauptsächlich das zentrale Staatsfernsehen. Unklar ist auch ob Journalisten lokaler Sender von vor Ort berichten dürfen.

Wen Jiabao und Hu Jintao haben in schriftlichen Anweisungen die Rettungskräfte zu unbedingtem Einsatz aufgefordert. Der Vize-Premier Hui Liangyu ist am Nachmittag in die Krisenregion aufgebrochen. Über die sozialen Webdienste der Mikroblogs von Sina und Netease gelangen zahlreiche Informationen ins Internet. Sie vergleichen jedes Foto und jede Aktion mit dem Umgang mit dem Erdbeben in der Provinz Sichuan im Mai 2008.

Denn damals war die chinesische Führung für ihre anfängliche Offenheit gelobt worden: Zunächst ließen sie die schnell reagierenden lokalen Medien relativ frei gewähren und bremsten den Informationsfluss im Internet nur verhalten. Auch dies setzte eine Welle der Solidarität und Spendenbereitschaft im ganzen Land in Gang. Mit den immer offensichtlicher werdenden logistischen Problemen und dem wachsenden Ausmaß der Katastrophe nahm Peking die offene Informationspolitik jedoch mehr und mehr zurück.

Sie verwehrte eine detaillierte und unabhängige Untersuchung der ungewöhnlich hohen Zahl eingestürzter Schulgebäude. Eltern von verstorbenen Kindern wurden öffentlichen Trauerrituale und Proteste untersagt. Chinesische Aktivisten wie der Publizist Tan Zuoren und der Künstler Ai Weiwei wurden von den Behörden mit Gewalt an Nachforschungen in der Region gehindert. Tan wurde im Februar 2010 wegen «versuchten Umsturzes der Staatsmacht» zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte versucht, die Zahl der Toten zu dokumentieren.

Auch deshalb kommen von Chinas Internetnutzern neben Entsetzen und Anteilnahme für die Opfer vor allem zynische Kommentare. Auf dem Mikroblog der Internetplattform Sina wurde eine sarkastische «Anleitung für Handhabung des Erdbebens in Yushu» bereits mehrere Tausend Mal weitergeleitet. Darin werden die Leser aufgefordert, den Darstellungen der staatlichen Nachrichtenagentur zu folgen. Zudem heißt es, die Stimmung unter den Betroffenen sei stabil, Medien aus anderen Provinzen dürften nicht in das Gebiet reisen, eine Namensliste der Opfer werde nicht veröffentlicht, Personen, die die Ursachen für den Einsturz von Bauten untersuchen wollten, würden des Staatsumsturzes bezichtigt und Experten würden wieder erklären, dass Erdbeben nicht vorhersagbar sind.